Keine Schaukeln, aber Brot.

Es scheint die Sonne und im Vergleich zu den letzten Tagen scheint sie auch da zu bleiben. Ich stehe wieder mal am Tor und begrüße die Kinder. “Was ist die Hauptstadt der Schweiz?”, ruft mir Luis, unser Musiklehrer, zu. “Bern”, antworte ich wie aus der Pistole geschossen. “Und von Peru?” Lima natürlich, aber das fällt mir nicht gleich ein. Verdammt. Luis erklärt mir, dass die meisten Namen von lateinamerikanischen Städten entweder nach indigenen Völkern benannt sind, wie Quito und Guayaquil, oder nach europäischen Eroberern. Spannend. Ich werde meine Geo-Kenntnisse über Lateinamerika noch erweitern, nehme ich mir vor. Und gerade während ich so meinen Gedanken über Hauptstädte, Eroberungen und Kolonialismus nachhänge, tönt die Europahymne aus dem Musikzimmer. Jemand übt Blockflöte. Manchmal ist das Leben schon ein bisschen wie ein ironischer Film.

Mittlerweile spielen die Teenie-Burschen auf der Schaukel. Ob das so eine gute Idee ist, frage ich mich? 10 Minuten später heißt die Antwort nein, denn es macht einen lauten Krach. Der tragende Balken bricht in der Mitte auseinander und ich kann nicht mehr tun als “alle runter” schreien, dann ist es auch schon passiert. Zum Glück ist niemand verletzt, denn die Kinder sind alle abgesprungen. Doch das Schaukelgerüst sieht etwas traurig aus. Tja, noch nicht einmal 10:30 Uhr und schon ein ereignisreicher Tag.

“Hallo Julia, danke für den Sandhaufen!!”, rufen mir die Kleinen wieder zu. Ich bin hier wohl langsam die Chica del arenero, das Sandkistenmädchen. So wie Felix der Chico de las Frutas ist. Und so hat nach knapp einem Monat schon jede_r seine Bestimmung hier gefunden. Neben anderen Dingen. Und was ich auch schon gefunden habe ist die Runde an Kolleg_innen, die genauso kaffeenarrisch sind wie ich. Und wenn wir nach dem Mittagessen in dieser Besetzung abwaschen, gibt es immer Kaffee. Und was dazu? Die leckeren Käse-Spinat-Laibchen vom Mittagessen? Einen Versuch ist es wert.

Am Nachmittag machen wir Öffentlichkeitsarbeit zum internationalen Tag des Friedens. Der ist nämlich nächste Woche. Die Kinder dürfen uns auf Karten schreiben, was Frieden für sie bedeutet. Megasüß, besonders die ganz Kleinen, die schon ganz stolz schreiben können und die Karte dann noch schön verzieren.

Am Abend werde ich dann überraschend Mitglied von Killa Productions. Wie? Ich bin einfach Richtung meines Zimmers gegangen und dann hat Sebas mich auf die Liste geschrieben. So einfach geht das. Er, Edwin und Sofia haben während der Pandemie ein Radioprogramm inklusive Videoproduktion gegründet. Killa bedeutet “Mond” auf Quechua, das is eine indigene Sprache hier. Jetzt überlegen sie, was sie damit weiter anstellen und brauchen dafür noch Leute. Und Journalist_innen finden sich halt immer irgendwie zusammen. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt. Felix wird auch gleich ins Boot geholt und sie überlegen uns mit den Namen Marta Ramirez und Ramiro Martinez vorzustellen. Weils lustig ist. Naja, sie müssen uns anmoderieren und sich die Zunge abbrechen. Nur wer Marta ist und wer Ramiro, das müssen wir uns noch ausmachen. Felix hat immerhin längere Haare als ich, Geschlechterrollen und so.

Dann gehen wir endlich Brot kaufen. Die Sache mit dem Brot ist nämlich die: Wir haben schon die ganze Woche keines. Normalerweise kommt jeden zweiten Tag ein Brotmann mit Gebäck hierher. Die Woche ist er nicht gekommen, warum weiß keiner. Zum Einkaufen sind wir irgendwie auch nicht gekommen, außer einmal und dann haben wir das ganze Gebäck gleich aufgegessen, weils lecker war. Naja, was mit Einkaufen müssen wir noch bissi üben. Aber solang die Hühner Eier legen und etwas vom Mittagessen über bleibt, verhungern wir nicht. Dann schauen wir noch einen Sprung bei Edwin vorbei, damit er Felix’ Simkarte aktiviert. Und Felix einen Steckeradapter besorgt. Edwin verkauft echt alles, außer Löwen und Elefanten. Die haben nämlich gerade nicht Saison. Schade.

Der Vogel, der vor meinem Fenster eine Tonleiter pfeift, heißt übrigens “gran putuu“. So wird er zumindest hier genannt, laut Wikipedia hat er noch gefühlt 100 andere Namen. Aber er ist so bisschen ein Uhu und schaut ziemlich nett aus. Vielleicht sehe ich ja auch mal einen.


2 Kommentare

  1. Großtante Roswitha

    Liebste Julia,
    also ich finde dir steht der Name Ramiro durchaus. Und journalistisch tätig bist du dort gefühlt mehr als hier – lass das nicht die WoA-Damen wissen!!

    Greetings,
    Roswitha

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert