Ich komm da irgendwie hin.

Unter diesem Motto steht der heutige Tag. In die Wildtierauffangstation Amazoonico will ich. Aber also ich mich in der Früh nochmal im Bett umdrehe, habe ich so meine Zweifel. Es regnet. Hat mich jetzt der Regen aus Mindo eingeholt? Hört das auf? Ich warte ein bisschen, aber es hilft ja nichts.

Zum Frühstück gibts Eierspeis mit Elektroschock, weil sich der Elektroherd lieber über mich erdet als über die Steckdose. Dabei greife ich die Pfanne eh nur mit Geschirrtuch an. Oder mit sonst irgendwas isolierendem. Aber die Physik hat irgendwie was gegen mich. Außerdem gibts Banane und Avocado, ohne Elektroschock.

Ich rufe mir ein Taxi und mache mich auf dem Weg, zumindest denke ich das. Dort, wo gestern der Weg war, ist heute nämlich der Fluss. Es hat halt die ganze Nacht geregnet. Ein wenig entgeistert starre ich die Wassermassen an. Wie komme ich jetzt vom Grundstück? Ich versuche durchs Wasser zu waten, aber das hat Strömung und ich habe nicht wirklich Lust mir schon in den ersten 5 Minunten die Gummistiefel von oben anzufüllen. Also was jetzt? Anderen Weg suchen. Funktioniert nicht so ganz, ich lande in der Botanik. Zum Glück steht irgendwann Luis, der Taxifahrer, vor mir. Er kennt den Schleichweg, wie man der Überschwemmung entkommt und bringt mich vom Grundstück und ins Dorf.

Dort starte ich zum Strand. Um zu Amazoonico zu kommen haben sich nämlich drei Möglichkeiten herauskristallisiert: 1. Per Kanu vom Hafen in Misahualli. Dauert ein paar Stunden und kostet 100 Dollar. Allerdings teilt sich der Preis auf, wenn man eine größere Gruppe hat. Die suche ich also. Mit wenig Erfolg. Der Strand ist menschenleer, die haben wohl alle gestern Party gemacht und schlafen aus.

Amazoonico ist weit und kompliziert, erklären mir auch die Kanufahrer. Ich komme da hin, sage ich. Also tritt Plan B in Kraft. Mit dem Kanu auf die andere Seite vom Fluss und von dort zu Fuß und mit dem Bus weiter. Auf die dritte Möglichkeit, auf der einen Seite des Flusses bis nach Tena, dort über die Brücke und dann mit dem Bus, hab ich keine Lust.

Also ein Taxi (!!) auf die andere Seite. Dort wartet auch gleich ein hilfsbereiter Mann. Ob er mich zur Bushaltestelle bringen soll, für 2 Dollar? Eigentlich wollte ich gehen, aber es nieselt immer noch. Und es ist heiß, mir läuft Regen und Schweiß herunter. Also gut. Die Bushaltestelle ist im wahrsten Sinn des Wortes mitten in der Pampa. Wann denn ein Bus fahren könnte, frage ich einen Mann, der gerade vor seinem Haus steht. In einer Viertelstunde, erklärt er mir und würde mir am liebsten gleich den kleinen Hundewelpen schenken, der währenddessen an meinem Bein hochspringt. Aber einen Hund kann ich jetzt leider wirklich nicht brauchen, mir reicht die kleine Katze in Mindo. Also stehe ich an der Bushaltestelle im Nirgendwo und hoffe, dass mein Plan aufgeht. An ecuadorianischen Bushaltestellen kann man nämlich auch sein halbes Leben verwarten, wenn man Pech hat. Ein Motorrad wäre jetzt praktisch.

Aber der Bus kommt sogar wie abgeschätzt und bringt mich nach Puerto Barantilla. Von Dort solls mit dem Kanu weitergehen. Und weil zwei Typen eh gerade dorthin fahren, nehmen sie mich mit. Ich steht also um 9:30, nach knapp 1,5 Stunden, an meinem Zielort. 10,25$ hat mich die ganze Strecke gekostet. Allein reisen ist teuer, weil man die Taxikosten nie teilen kann. Und die summerien sich auf irgendwann. Aber immerhin bin ich jetzt da. Und so kompliziert, wie alle getan haben, war das jetzt aber nicht. Dementsprechend bin ich viel zu Früh für eine Führung. Aber Pia, eine deutsche Volontärin, nimmt mich trotzdem mit.

Nach Amazoonico kommen Wildtiere, die sich verletzt haben oder von Polizei oder Zoll beschlagnahmt wurden. Das Ziel ist, sie wieder auszuwildern, aber nicht bei allen gelingt das. Viele, die als Haustiere oder Touristenattraktionen gehalten wurden, haben ihre natürlichen Instinkte verloren und könnten nicht mehr in freier Wildbahn überleben. Diese Tiere bleiben dann in Amazoonico. Während der Tour erfährt man ein bisschen etwas über ihre Lebensgeschichten. Eine Boa, die sich heute leider nicht zeigt, war eine Fotoattraktion und hat von dem ganzen Insektenmittel und der Sonnencreme von den Touristen gesundheitliche Probleme bekommen. Sie kann sich nicht mehr häuten, und dementsprechend nicht mehr wachsen. Pinky, ein Affe, heißt so, weil er mit pink lackierten Fingernägeln in die Einrichtung gekommen ist, ich weiß ja auch nicht, was Leuten einfällt. Affen, erklärt Pia, sind sehr schwierig wieder auszuwildern, weil sie Gewohnheiten von ihrer Umgebung übernehmen, eben von Menschen oder Hunden, mit denen sie zusammenleben wenn sie als Haustiere gehalten werden. Dann benehmen sie sich nicht mehr wie Affen und wären leichte Beute. Schildkröten und Schlangen werden auch oft nach Amazoonico gebracht, die kann man aber fast alle wieder auswildern, weil sie meist starke natürliche Instinkte haben. Außerdem gibt es noch einen Kaiman, der manchmal aus dem Gehege ausbricht, zwei Tapire und einige Vögel. Ein paar Papageie, die nicht mehr fliegen können weil ihnen die Flügel gebrochen wurden und ein Baby-Tukan, der verletzt wurde als der Baum gefällt wurde, auf dem sein Nest war. Er kann wahrscheinlich ausgewildert werden, muss aber zuerst erwachsen werden. Wildschweine gibt es hier auch, vor denen muss man sich aber in Acht nehmen. Die sind wirklich wild. Ein bunt gemischter Haufen an Tieren mit den unterschiedlichsten Geschichten also. Ich mag Amazoonico. Ich quatsche noch ein wenig mit Pia über ihr Volontariat und mit ihrer Chefin über die Einrichtung. Sie ist auch super lieb und ich bekomme wieder mal Guayusa-Tee.

Was mache ich jetzt? Keine Ahnung, wieder mal allen erzählen, dass ich gern irgendwas machen würde. Der Amazoonico-Chefin, den andern Leuten, irgendwelche Empfehlungen? Ich treffe Javier, er ist Guide und seine Gruppe ist gerade auf Amazoonico-Führung. Danach kann ich mich anschließen, meint er. Hm, wieder die Sache mit dem Einschätzen. Aber wir haben Zeit, müssen sowieso auf die anderen warten. Also sitze ich mit Javier auf der Bank, esse Oreokekse und versuche herauszufinden, ob ich ihm vertrauen kann. Die nette Dame von Amazoonico kennt ihn gut, das ist schon mal ein positiver Punkt. Wir reden über Ecuador und Österreich, übers Alleine reisen. Er erzählt von seiner Mama aus Kolumbien, die auch viel allein gereist ist. Er hat Respekt vor Frauen, die allein unterwegs sind, sagt er. Wir reden relativ offen darüber, wie das so ist, Fremden zu vertrauen, über den Machismo in der ecuadorianischen Gesellschaft und was er für Auswirkungen. Ich beschließe, Javier ist ok. Also machen wir uns, sobald seine “Gruppe” eigentlich nur bestehend aus einem amerikanischen Mädl, zu dritt auf den Weg. Es geht mit dem Kanu zu einer Community. Ich habe mit Javier ausgehandelt, dass er mich danach bei einer Bushaltestelle absetzt, von der ich zurück nach Misahuallí komme.

Das Kanu rast über den Fluss, der Fahrtwind in meinen Haaren, neben mir das Wasser, vor mir Sonne und Berge. Dieses Gefühl habe ich so vermisst. Und genieße es genauso wie in Cuyabeno im Dezember. Viel zu schnell sind wir da.

Wir legen bei einem indigenen Dorf an, Kakaobäume säumen den Weg. Ich hab gar nicht gewusst, dass im Dschungel auch so viel Kakao wächst. Wir dürften üben mit dem Blasrohr auf eine Eulenattrape zu schießen und das ist gar nicht so einfach. Beim letzten Versuch treffe ich. Dann gehts in die Hütte. Die ist aus Tokilla konstruiert, das ist eine Art Bambus, aus der hier viel gebaut wird. Javier legt uns traditionelle Kleidung um, den Holz-BH und den Rock, den ich schon von gestern kenne. Ich muss sagen, das Zeug ist ja angenehm zu tragen, aber mein Hirn schreit wieder kulturelle Aneignung. Dann gibts wieder mal Chicha de Yuca. Zum Mittagessen hat Javier Arroz relleno mitgebracht, also quasi Reis mit allem. Leider nicht veggie, aber was solls. Wir essen mit Blick auf den Fluss und reden übers reisen. Dann geht’s weiter durch den Dschungel, Javier erntet 2 Kakaos, aber sie sind noch nicht reif genug. Ein Vogel schreit. Oropendula, erklärt Javier. Ich bin mittlerweile dazu übergegangen, in einem Handymemo all diese Begriffe mitzuschreiben. Sonst würde ich es mir nie merken.


Wir haben ein bisschen Hühnerfleisch bekommen und sind am Weg zur Laguna de Kaimanes. Das ist ein Teich in der Mitte des Dschungels, wo einfach viele Kaimane leben. Und ich gern gefüttert werden. Eine Mama Kaiman sehen wir und ganz viele Babys in unterschiedlichsten Größen. Zwischen 20cm und über einem Meter ist alles dabei. Ausgewachsen werden die ca. 1.5 Meter lang. Wir spießen Fleischstücke auf einen Stock und füttern die Kaimane. Sie machen grunzende Laute und springen aus dem Wasser, irgendwie süß. Da vergesse ich fast, dass man Kaimanen besser nicht zu nahe kommen sollte.


Zurück beim Boot gibts eine kurze Fotosession vor einfach unglaublichem Hintergrund. Die Sonne steht am Himmel, am Horizont die grün bewaldeten Berge, ein paar Wolken heben sich weiß vom strahlend blauen Himmel ab. Der Fluss fließt dahin. Wunderschön.


Dann gehts in eine andere Community, wo uns gezeigt wird wie die Indigenen Keramik herstellen. Mit Ton aus dem Dschungel, bemalt mit Naturfarben. Ich werde langsam müde, es war ein langer Tag. Wir fahren wieder Kanu, die ecuadorianische Flagge an der Stange flattert dahin, das Wasser spritzt, die Fahrtwind bläst. Javier setzt mich in einem Dorf ab, der nächste Bus fährt in 45 Minuten sagt man mir. Genug Zeit um in der Hängematte zu chillen, Kokossaft zu trinken und meine Eltern anzurufen.

Die Busfahrt klappt problemlos, nur frage ich mich wieder einmal wie voll ein Bus eigentlich sein kann. Und ich lande wieder da, wo ich heute in der Früh fast den Hundewelpen geschenkt bekommen hätte. Da wollte ich eigentlich nicht hin, denn das ist wieder die falsche Seite vom Fluss. Ihr wisst schon, die Brücke…. Außerdem kann ich jetzt mal 2km latschen, weil ich am Y von Misahualli bin, also der Ortseinfahrt. Wäre ich in Mindo, würde ich jetzt ein kurzes Whatsapp in die Freundesgruppe schreiben und in 5 Minuten würde mich irgendwer mit dem Motorrad abholen. Hier nicht. In solchen Momenten vermiss ich Moto und Freunde schon.

Aber was bleibt mir anderes übrig als zu Fuß zu gehen. Auf der asphaltierten Straße, links und rechts Dschungelgrün, die Sonne wird bald untergehen. Dann steht da auf einmal ein Wegweiser. Lagune 300m. Hm, hab ich noch Lust drauf schöne Orte zu entdecken? Eigentlich schon. Die Lagune liegt verlassen da, drei Boote liegen malerisch darin, am Bug sitzen drei Vögel. Ein altes Kanu ist halb versunken. Die Sonne scheint durch die Bäume und lässt diesen Ort wirken wie aus einer anderen Welt. Ich versuche es auf Fotos einzufangen, aber es gelingt nur so halb. Kann ich eine Weile hier bleiben? Eine Viertel Stunde, sagt der Blick auf die Uhr. Sonst wirds finster. Eine Hängematte gibts auch, von dort aus bestaune ich weiter die Lagune. Hier könnte ich bleiben, die Sonne, die Kanus, die drei Vögel und ich. Keine Ahnung wem dieses wunderschöne Fleckchen Erde gehört. Sicher Privatbesitz. Aber den borge ich mir jetzt mal bisschen aus.

Der Weg zum Fluss ist nicht mehr weit, da liegt auch schon ein Kanu bereit. Perfekt. Nur hat das Kanu bei näherem Hinsehen ein Problem: Es sitzt auf. So ca. 10 Leute sitzen schon drin, fünf weitere versuchen hau ruck das Teil zum Schwimmen zu bringen. Nix da. Ein paar Aussteigen bitte. Niemand hat Lust. Ich finde das Ganze ja witzig. Aber ich glaube, wenn man das jeden Tag hat findet mans nicht mehr witzig. Mit viel Hauruck und Aussteigen bringen wir das Kanu schließlich in Fahrt. Aber halt, jetzt wollen alle die am Ufer stehen und geschoben haben trotzdem mit. Drei mal versucht der Kanufahrer an einer tieferen Stelle anzulegen und sitzt fast wieder auf. Aber schlussendlich fahren wir. Schreiend, jubelnd, und mit doppelt so vielen Personen drin wie eigentlich erlaubt. Aber psst, geht schon passt schon.

Jetzt bin ich mal auf der richtigen Seite vom Fluss, wieder in Misahualli. Bleiben die letzten drei Kilometer zu Scott. Zuvor treffe ich noch einen Hippie-Typen, der sich spaßhalber als der gefährlichste Mann von Misahualli bezeichnet und mit mir eine Diskussion über Entwicklungspolitik, Kapitalismus, Eurozentrismus und Revolution anfängt. Ganz einig werden wir uns nicht, aber er hat schon in ein paar Punkten recht. Dafür zeigt er mir dann auch, wo ich die besten Guayusa-Blätter des Dorfes kaufen kann. Ich will den Tee nämlich selbst nachmachen. Die letzten drei Kilometer zu Scott ziehen sich. Sie werden zwar vom Sonnenuntergang versüßt, aber meine Beine sind müde für heute. Autostoppen klappt auch nicht. Ich schlendere die Straße entlang, singe hey Pippi Langstrumpf und will nicht mehr gehen. In der Lodge komme ich wieder im Dunkeln an. Das mit dem Sonnenuntergang geht hier aber halt auch einfach verdammt schnell.

Als Abendessen hab ich Nudeln mit Avocado geplant, der Feuergrill und der elektroschockende Herd machen ein Duell, wer langsamer ist. Und ungesalzene Nudeln sind auch nicht so geil. Aber ich hab kein Salz. Leben voll im Griff hier. Aber egal. Jetzt nur mehr ab ins Bett.

Beim Einschlafen bin ich müde, aber glücklich und stolz. Ich hatte einen tollen Tag, bin überall hingekommen wo alle meinten das geht nicht und auch wieder zurück. Ja, ich bin viel marschiert und es hat lang gedauert, aber das gehört dazu. Mit einem ordentlichen Dickschädel und einer kleinen Portion Glück kommt man ja doch überall hin.

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