… wird alles gut. So kommt es mir die letzte Woche vor. Es fühlt sich leicht an. Ich schwebe schon ein bisschen. In Richtung Österreich. Viele zwischenmenschlichen Konflikte, viele Spannungen haben sich in den letzten Tagen aus dem Weg geräumt, ich gehe leichten Herzens. Ich gehe mit Tränen in den Augen. Die gleichzeitig Tränen der Trauer und der Freude sind. Mein Kopf ist verwirrt. Ich glaube, es wird ein schöner Abschluss. Es wird jetzt auch gerade so schön, weils der Abschluss ist. Und so gehe ich beschwingt, glücklich und dankbar meines Weges.

Dankbar für alle Erfahrungen, die ich hier machen durfte. Die schönen und auch die nicht so schönen. Dankbar für all die Leute, die ich hier kennengelernt habe, die mich ein Stück begleitet haben. Ich reflektiere viel in letzter Zeit. Ich betrachte das große Ganze, die Metaebene meines Freiwilligeneinsatzes. Und wenn ich das mache, füllt sich mein Herz mit Glück und Dankbarkeit. Klar, es gab große Durststrecken dazwischen. Es gab Herausforderungen, die mich zunächst mal umgeworfen haben. Es gab Momente, in denen ich an mir und allem gezweifelt habe, hilflos war und nach Hause wollte. Aber genauso gab es Momente wo ich das Gefühl hatte zu fliegen vor Glück. Wo ich wunderschöne Erfahrungen gemacht habe, die den Rest meines Lebens prägen werden. Wo ich gelacht habe und gar nicht mehr aufhören konnte. Wo ich getanzt habe im Regen. Oder so große Dummheiten angestellt habe, dass ich sie nicht mal hier auf den Bog schreiben konnte. All diese Erinnerungen zaubern mir Bilder in den Kopf und ein Lächeln auf die Lippen. Erinnerungen habe ich viele. Mein größtes Geschenk ist wohl der Blog selbst, denn ich immer wieder gern durchblättere und mich erinnere. Und das werde ich noch viele Male tun.

Mein Kopf dreht sich die letzten Wochen. Ich bin nicht mehr ganz da. Ich bin halb in Mindo, halb in Peru und halb in Österreich. Und weil das mehr ist als ein Ganzes dreht es sich auch so schnell. Ich erinnere mich an die letzten beiden Wochen daheim, in denen noch 100 Sachen auf den letzten Drücker gemacht werden mussten. Hier genauso. Und es wäre auch egal, wenn ich noch 2 Wochen mehr hätte. Es ist viel, organisatorisch und emotional. Aber die Herangehensweise wird leichter, mittlerweile dominiert das Motto “A scho wurscht”.

“Ich hab dich so lieb”, hat mir heute eine Kleine beim Mittagessen gesagt und mich umarmt. Und mir wären fast die Tränen gekommen. Denn ich habe sie auch lieb. Ich habe sie alle lieb, die Kinder. Auch die, die mich letzte Woche nochmal so richtig auf die Palme gebracht haben. Ich liebe auch SALEM, obwohl ich in den letzten Wochen so oft verlautbar habe, ich würde ich es hier nicht mehr aushalten. Ich liebe meine Zeit hier, auch wenn sie zwischendurch gar nicht so liebenswert war.

Mein Weg. Er wird weitergehen. Ich habe viel darüber nachgedacht, ob die Zeit hier gut genutzt war. Ob ich sie vielleicht manchmal verschwendet habe. So ein großer Aufwand für das Jahr hier. Das Leben daheim zurück lassen, bürokratische und emotionale Hürden überwinden, um einen Ausflug ans andere Ende der Welt zu machen. Na dann muss hier doch alles perfekt und effizient genutzt werden. Und unterm Strich ein sehr gutes Ergebnis liefern. Oder? Das Geheimnis, das ich entdeckt habe: Das Leben spielt hier genauso wie dort. Mit Höhen und Tiefen. In Wellen. Es war ein bewegtes Jahr. Wäre es da und dort gewesen, weil sich die Welt gerade sehr bewegt. Und beim Nachsinnieren über den Sinn dieses Jahres bin ich zu einer sehr wichtigen Erkenntnis gekommen: Ich werde aufhören, Erfolge an Noten und Ergebnissen zu messen. Ich sollte aufhören, alles perfekt machen zu wollen. Ich sollte aufhören, allen anderen gefallen zu wollen. Denn die einzige Person, der ich gefallen muss, bin ich selbst. Und ich werde meinen Weg weitergehen, so wie ich ihn für richtig halte. So wie ich mein Leben leben möchte. Und es wird gut werden.

Ich werde weiterhin auf Widerstand stoßen. Ich werde vielleicht erst in Österreich merken, wie sich meine Weltsicht und ich verändert haben. Wird mich jemand verstehen? Wahrscheinlich nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mich gar niemand verstehen kann. Weil niemand auf der Welt dieselben Erfahrungen gemacht hat wie ich. Meinen Lebensweg. Vom Aufwachsen, der Erziehung bis über Schule und Studium, Liebe, Ausland, Abenteuer, persönlich Höhen und Tiefen. Träume. Alles meine eigenen. Niemand kann das so ganz fassen. Manchmal ich selbst nicht. Aber viele Leute können ein bisschen etwas verstehen. Weil sie mich ein Stückchen auf meinem Weg begleitet haben, der auch der ihre war. Mein Weg formt sich aus diesen vielen Stückchen. Daraus formt sich das, was mich ausmacht. Und viele Leute zu haben, die das ein bisschen verstehen, ist schon viel wert. Und wenn ich mich unverstanden fühle, werde ich mich einfach auf die Suche machen. Nach Leuten mit ähnlichen Erfahrungen. Ich werde sicher mal in der Wiener Freiwilligenszene anklopfen. Ich bin ja nicht die einzige von diesem ganz bestimmten Typ Mensch, die einen Freiwilligeneinsatz machen oder mit ständigem Fernweh gesegnet sind. Es wird jemanden geben. Der alles ein bisschen versteht.

Freiheit und Käfige. Darüber denke ich viel nach in letzter Zeit. Ich komme mir ein bisschen vor wie Heidi als sie von der Alm in die Stadt zieht. Ein Jahr voller Freiheiten. Wird Wien mich erdrücken? In einen Käfig sperren? Ich habe ein Jahr lang in Wasserfällen gebadet, bin Motorrad gefahren, war feiern, bin auf der Ladefläche eines Pickups gestanden und den Berg hinauf gefahren. Habe mich im Auto nie angeschnallt. Habe mir Piercings stechen lassen, wenn mir danach war. Habe geküsst, wen ich wollte. War niemandem Rechenschaft schuldig, wann ich daheim war und wo ich war. Ich bin im Meer mit den Wellen gesprungen und war Surfen. Bin auf die höchsten Berge gekraxelt und im Schnee herumgestapft. Durch den Cotopaxi-Nationalpark galoppiert. Habe einen Vulkan bestiegen. Von Felswände hinaufgeklettert und manchmal auch auf den Balkon. Bin am Dach gesessen und habe nachgedacht. Habe einfach mal einen neuen Weg durch den Wald geschlagen, wenn keiner mehr da war. Oder den Wasserfall hinuntergesprungen. Bin in Gummistiefel durch den Amazonas oder den Hühnerstall gelaufen. Allein verreist. Wenn ich an Ecuador denke, bedeutet das Freiheit. Wenn ich an Österreich denke, bedeutet das Käfig. Viele Vorschriften, Bürokratie, Regeln. Die Regeln sind auch zu meiner eigenen Sicherheit da. Das Anschnallen im Auto. Beschilderte Wanderwege. Betonierte Straßen. Dass man nicht auf der Ladefläche von fahrenden Pickups steht. Könnte gefährlich sein. Kann es eh. Ich werde eine Weile brauchen. Bis ich mich wieder einfinde in diesem Konzept an Regeln. Ich werde lernen müssen, meine Freiheiten auch dort zu finden. “aaaber in Ecuador…” werdet ihr mich wohl oft sagen hören. Sorry schon mal dafür. Ihr findet mich dann in der Donau. Auch wenn die im September vielleicht schon kalt ist. Aber so kalt wie mein Fluss in Mindo kann sie gar nicht sein.

Es geht weiter. Der Sand, der die letzten Monate manchmal im Getriebe war, ist weg. Es läuft. Ein Abschied steht an und eine neuer Anfang. Und ich schaue gleichzeitig nach vorne und zurück und drehe mich dabei. Ich lache und weine und weiß gar nicht, was ich eigentlich fühle. Viel. Dankbarkeit. Dafür, dass alles gut ist. Am Ende.

Ein Kommentar

  1. Liebe Julia, ich bin unendlich dankbar, dich zu kennen, auch wenn wir selten ausgiebig gesprochen haben, weil ich mich in deinen Gedanken und Ansprüchen an die Welt um uns herum wiederfinde. Wir haben sehr ähnliche Sichtweisen, was einengenden Leistungsdruck, überbordende Bürokratie, mangelnde Solidarität mit den Menschen am Rande der Leistungsgesellschaft , was Einfühlungsvermögen in die Situation des anderen Menschen und einfach was allumfassende Liebe/Caritas gegenüber allen Geschöpfen anbelangt, auch wenn uns ein Altersunterschied von 40 Jahren trennt und ich als junger Mensch -wahrscheinlich aus Feigheit- solche Erfahrungen nicht machen konnte. Meine ehrenamtlichen Dienste haben sich damals auf Wien und Umgebung beschränkt. Ich wünsch dir gute Heimkunft und einen nicht zu großen “Kulturschock” zu Hause!!!

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