Ich bin grundsätzlich eigentlich ein Mensch, der an Sachen hängt. Immer schon. Ich erinnere mich noch gut an das Drama, als ich irgendwann als kleines Kind mein Lieblingskleid weggeben musste, weil ich schlichtweg rausgewachsen war. Als mein kleines Sparschwein zerbrochen ist. Dann später, als das Auto eingegangen ist, mit dem ich meine ersten Fahrversuche und den Führerschein gemacht hab. Tränenchaos – von Kindheit bis zum Erwachsenenalter. An bestimmten Menschen hänge ich auch. Das hat den Abschied von daheim ziemlich verkompliziert und die Zeit hier ab und an auch. Weil zwischenmenschliche Beziehungen genauso wie Dinge zerbrechen können, man rauswächst oder sie sich einfach auf eine Art und Weise verändern. Und das endet dann manchmal genauso im Tränenchaos.
Aber hier habe ich das Gefühl, gerade eine wichtige Mission zu lernen und zu verinnerlichen. Und diese ist: Manches ist nicht für immer.
Materielle Dinge sicher nicht. Zu viele Kleidungsstücke sind hier schon dem umbarmherzigen Trockner zum Opfer gefallen, werden schlichtweg nicht mehr sauber, sind zerrissen oder werden im feucht-schlammigen Klima von Mindo immer kaputter. Wenn ich hier jedes Mal Tränenchaos veranstalten würde, würde ich nicht fertig. Genauso mit der Handvoll Sachen, die mir leider letztens geklaut wurden. Das Strandtuch, dass ich erst vor zwei Monaten gekauft hatte. Die Hose, die mich schon Jahre begleitet hat. Die kleine Geldbörse, die mir Terran in meiner zweiten Woche hier geschenkt hat. Die Flipflops, die ich im Urlaub gekauft habe und sich eh schon auflösen. Das Handy natürlich, das einzige Ding von wirklich materiellem Wert, das mir abhanden gekommen ist. Da war ich schon ziemlich sauer. Weil es einfach Dinge waren, von denen ich noch gerne länger Gebrauch gemacht hätte. Aber materiell ersetzbar, schon klar. Und emotional? Finde ich mich eben langsam damit ab, das manches nicht für immer ist. All diese Gegenstände haben mich eben eine Zeit lang begleitet und jetzt sind sie nicht mehr da. Sauer sein und aufregen bringt da nichts. Das ist eben irgendwie der Lauf der Zeit.
Und die Menschen? So makaber es klingen mag, aber ich finde auch hier lässt sich die Erkenntnis sehr gut anwenden. Ich kenne viele Menschen, die mich eine Zeit im Leben wunderbar begleitet haben, wichtig waren und für mich da waren. Manche davon sind es jetzt nicht mehr. Das ist bei vielen sehr okay und hat bei anderen ziemlich weh getan, aber dafür sind andere Leute gekommen. Die ein Stück von meinem Weg mitgegangen sind, manche mehr, manche weniger. Manche begleiten mich jetzt noch. Wie lange weiß ich nicht.
In der Oberstufe dachte ich mir, das seien jetzt die Freundschaften für immer. Und ich bin mit vielen Leuten von damals noch gut in losem Kontakt, man quatscht ab und zu. Mit anderen hat sichs komplett verloren. War nicht für immer. Ist auch ok so. Die erste Liebe war genauso wenig für immer. Und so manch andere Menschen, von denen ich lange dachte sie bleiben für immer, haben sich auch unter den unterschiedlichsten Umständen aus meinem Leben entfernt. Das heißt nicht, dass sie nie wieder kommen können. Denn auch viele Abschiede sind nicht für immer. Und so läuft es eben weiter im Wandel der Zeit, Menschen kommen und gehen und hinterlassen ihre Spuren.
Auch mein Freiwilligeneinsatz ist nicht für immer. Das war von Anfang an klar. Auch die Menschen hier werden Leute sein, die mich eine wunderschöne Zeit in meinem Leben begleiten und danach nicht mehr da sind. Zumindest geografisch. Wie sich das mit dem Kontakt halten löst, wird man sehen. Tut der Gedanke weh? Natürlich. Andererseits habe ich das jetzt auch schon einige Male durch, weil sich hier auch alles ständig ändert und Menschen kommen und gehen. Und die Abschiede enden nicht selten im Tränenchaos. SALEM, die Kinder, meine Katzen. Auch das wird nicht für immer sein. Es ist manchmal schwierig zu akzeptieren, wenn sich Wegen trennen. Was nicht heißt, dass sie nie wieder zusammenfinden können. Die Welt ist klein und hier haben sich schon die verrücktesten Zufälle und Connections zwischen Personen aufgetan, die auf einmal in SALEM oder in meinem Leben aufgetaucht sind. Und eine Zeit geblieben sind oder bleiben. Aber irgendwann ziehen sie doch alle weiter, denn wir sind irgendwie alle Reisende. Die verrückte Voluntärs-Bubble noch mehr als alle anderen Menschen. Und irgendwo auf dieser Reise trifft man sich dann auch wieder, sei es irgendwo in Lateinamerika, in Deutschland oder Österreich, oder über Videotelefonie.
Hier in Ecuador ist irgendwie sowieso nichts für immer. Angefangen von der Natur, die jede Woche ein anderes Gesicht zeigen kann. Oder verbaut wird und verschwindet. Aber auch das Leben ist viel flexibler. Manchmal gezwungenermaßen durch die Umstände, manchmal einfach so. Ich bin seit 9 Monaten da und in dieser Zeit hat ein Großteil meiner Freund_innen zumindest einmal Job gewechselt oder ist umgezogen. Oder beides. Oder eines bedingt durch das andere. So etwas ist hier auch kein so großes Ding, dann wohnt und arbeitet man eben mal hier und dann dort. Im Dorf merkt man das auch. Da öffnet hier eine neue Bar, dort ein Sandwichladen, da eine Apotheke und eine Konditorei gibts jetzt auch. Dafür gibts den Supermarkt nicht mehr, weil der ist jetzt eine Bar, Edwins Videospiellokal ist wieder zu und eine Menge anderer Unternehmen hat eben auch nur für eine bestimmte Zeit funktioniert. Ist so.
In Österreich sehe ich in meiner Generation schon einen ähnlichen Lebenswandel. Die Studierendenschaft, die nicht ganz weiß was und wohin sie will und deswegen alles ausprobiert. Aber in meiner Kindheit und Jugend sehe ich etwas ganz anders als in der Kindheit und Jungend vieler meiner Freund_innen hier: Sicherheit. Das ist natürlich nicht bei allen Leuten, die in Österreich aufgewachsen sind so. Aber in meinem speziellen Fall sehe ich ein Haus, das meine Eltern gebaut haben und in dem mein Bruder und ich aufgewachsen sind. Meine Eltern, die seit ich denken kann im selben Job arbeiten. Die Familie, meine Eltern, mein Bruder und ich. Zusammen, im Haus. Das war immer so, da hat sich nichts geändert. Festgeschrieben als unveränderbar, bis ins Erwachsenenalter, als mein Bruder und ich zum Studieren ausgezogen sind. Aber das Haus ist immer noch da. Und sonst auch alles. Mit großen Veränderungen war ich wenig konfrontiert. Daher auch der Gedanke, dass manche Sachen eben für immer sind, weil sie nie anders waren. Später habe ich die Erfahrung gemacht, dass weder meine erste Wohnung, noch der erste Job, noch die erste Beziehung für immer waren. Und es kann gut sein, dass das so weitergeht. Ob ich jemals ein Haus für immer haben werde? Oder einen Job? Oder die Wanderschaft weitergeht? Ich weiß es nicht, aber manches ist sicher nicht für immer.
Und wenn ich so nachdenke, gibts in meinem Kopf eine ganze Liste unter dem Titel “War nicht für immer”. Angefangen von meinem orangenen Strandtuch, über Personen und Beziehungen bis hin zu Haustieren. Auch die SALEM-Katzen werde ich hier lassen müssen, zumindest die meisten. Und einen guten Teil von meinen Sachen, weil nicht alles in den Koffer passen wird. Das Wichtigste muss mit. Der Rest hat mich dann eine Weile begleitet und darf hier bleiben.
Ich sage nicht, das nichts für immer ist. Es gibt genug Menschen und auch Gegenstände, die mich schon sehr lange begleiten. Den Blick durch mein Zimmer schweifen lassend entdecke ich meine Regenjacke, die ich irgendwann von meinem Bruder geerbt habe und schon ewig lang habe. Die Ukulele, die auch schon einige Abenteuer miterlebt hat. An der Wand hängen Bilder von Menschen, die mich begleiten. Manche seit ich auf der Welt bin. Viele davon auch hoffentlich noch lange. Aber sicher nicht alle. Den manches ist einfach nicht für immer. Es trennen sich Wege, es finden sich neue, manche finden sich auch wieder zusammen. Dass ist die Hoffnung, die mich trägt und die Abschiede leichter macht. Denn “Nicht für immer” heißt nicht, dass etwas nie wieder sein wird.
Ist das Ganze einfach? Nein. Es gibt immer noch ab und zu Tränenchaos und sauer sein. Und dass ich Veränderungen eigentlich nicht mag könnt ihr eh schon hier und hier nachlesen. Darüber habe ich viel geschrieben und werde weiterschreiben. Weil ich manchmal das Gefühl habe hier in Ecuador dreht sich die Erde noch schneller als überall anders. Muss wohl am Äquator liegen oder so. Aber ich lerne viel und vor allem Gelassenheit gegenüber Veränderungen. Resilienz. Dann wird das nächste Tränenchaos nicht mehr so groß wie das letzte und manches macht mir auch gar nichts mehr aus. Denn ich weiß, das nicht alles für immer ist und für alles was geht wird etwas Neues kommen.
Hy. 👋 Die Erkenntnis, die du da beschreibst und gelernt hast, ist eine sehr wichtige. Viele deiner Beschreibungen kann ich nachvollziehen (v.a. mit den Autos 😉) und kann mich auch noch gut an manche Tränenaktion erinnern. Diese Erkenntnis wird dich dein ganzes Leben lang begleiten, egal ob in Ecuador, Österreich oder sonstwo. Aber ich möchte dir versichern, dass ich dich als einer deiner Fixpunkte in unserem gemeinsamen Familienuniversum so lange wie möglich begleiten werde.🥰😉
Grüße aus dem weit weit weg Wohnzimmer
Nicht alles ist für immer, das stimmt.. Zwei ganz wichtige Dinge aber schon..
Das eine ist der Wandel, der uns durch unser Leben trägt und dafür sorgt, dass wir nie stillstehen, immer wieder vor neuen Unbekannten stehen.
Und das andere sind die Spuren, die dieser Wandel in uns hinterlässt. Die Gefühle und Erinnerungen, die uns formen und durch unser Leben leiten.
Diese Spuren sind es, die dich zu dem wunderbaren Menschen machen der du bist..
– Grüße aus dem Nebenzimmer