Freitags ist Ausflugstag. Wir besuchen mit den Kindern das Archäologische Museum in Tulipe, dass sich mit der Erforschung der Yumbo und der Inka beschäftigt. Die haben lange vor der Kolonisierung hier in der Region gelebt. Ich finde das sehr interessant, denn die Verbindung zu Geschichte ist in Lateinamerika ein wenig anders als in Europa. Auch in Gesprächen mit Kolleg_innen habe ich schon mitbekommen, dass die Vernichtung der indigenen Kulturen durch die Kolonisierung ihre Spuren hinterlassen hat. Sie meinen, dass es dadurch noch heute schwierig für viele Menschen ist, eine gemeinsame kulturelle Identität aufzubauen. Verständlich, wenn ein Großteil der Geschichte quasi nicht mehr existiert. Umso mehr freue ich mich auf das Museum. Doch von Anfang an.
Zuerst müssen wir dort mal hinkommen, und das ist das erste Problem. Eines von den bestellten Taxis kann nicht kommen und wir haben zu wenig Plätze. Was tun? Kinder da lassen geht nicht, Betreuer_innen da lassen auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Kinder stapeln geht auch nicht so wirklich, aber wir versuchen es trotzdem. Mit wenig Erfolg. Da fährt gerade ein Kleinbus vorbei. Genau so einen bräuchten wir, sagt jemand. Kollegin Silvana nimmt das sehr wörtlich, rennt dem Bus nach und hält ihn an. Nach wenigen Minuten verhandeln hat sie eine vermeintlich unmögliche Nachricht: Der Taxifahrer mit dem Kleinbus hat gerade nichts anderes vor und nimmt uns mit. Alle Kinder, die eh nichts ins Taxi gepasst hätten schnell in den Bus verfrachtet, Betreuer_innen hinterher und los gehts. So einfach ist das mit einer guten Portion Zufall.
Ich finde mich vorne neben dem Busfahrer wieder, Silvana bleibt hinten bei den Kindern. Gespannt schaue ich aus dem Fenster, wo der Wald an mir vorbeizieht. Ein Wald, von dessen Bäumen ich keine einzige Art von zu Hause kenne. Nebelwald eben. Die Landstraßen sind gut befestigt und asphaltiert, besser als ich erwartet hätte. Und als der Bus so zu spanischer Musik im Radio über die Berge durch den Wald braust, da ist es wieder: Ein Gefühl der tiefen Dankbarkeit. Dass ich jetzt da sein darf, in diesem Land weit weg von daheim und all dies hier kennenlernen darf. Und wieder einmal denke ich mir, wie schön Ecuador eigentlich ist.
Wir fahren durch ein Dorf, dann über eine Anhöhe mit tollem Ausblick. Immer wieder muss der Busfahrer bremsen oder ausweichen, weil Hunde auf der Straße stehen oder liegen. Und anscheinend ist es sowas wie ungeschriebenes Gesetz, dass die mehr Recht auf die Fahrbahn haben wie die Fahrzeuge, zumindest denken sie nicht daran wegzugehen. Der Busfahrer mag außerdem Hunde, erklärt er mir, deswegen passt er da auf.
Im Museum Tulipe angekommen, werden wir in zwei Gruppen geteilt. Unsere Führerin spricht deutlich und langsam, ich verstehe fast alles. Die Kinder sind aufgeregt und wollen alles angreifen. Die meisten von ihnen waren noch nie in einem Museum, erklärt Silvana später. Es geht also um die Kultur der Yumbo, die wahrscheinlich ersten Siedler_innen in dieser Region. Das war lange vor Christus, die Jahreszahlen hab ich mir leider nicht gemerkt. Danach kamen die Inka, die viele Bauten der Yumbo wieder verwendet haben. Zum Beispiel die sogenannten Tollos, das sind künstlich erschaffene Hügel, auf denen die Yumbo ihre Häuser gebaut haben. Dadurch sind sie auch bei starken Regenfällen nicht überflutet worden. Klug, nicht? Die Inka haben diese Hügel dann als Wachposten genommen, um zu kontrollieren wer ihr Territorium betritt. Einige solcher Tollos soll es auch in Mindo geben, ich werde mal Ausschau halten. Aber die Gegend hier war nicht immer besiedelt. Die Führerin erzählt, dass ein Vulkan, der Pichincha, einmal so heftig ausgebrochen ist, dass die ganze Region voller Lava und Asche war. Die Menschen mussten also woanders hin und die Natur eroberte im Laufe der Jahre die Vulkangegend zurück. Und die Ausläufer ebendiesen Ausbruchs sind auch bis Mindo gekommen. Der Pichincha ist heute aber schon lange inaktiv, also keine Angst.
Dann können wir Ausgrabungen, die sogenannten Bäder der Inka anschauen. Ursprünglich wahrscheinlich auch von den Yumba geschaffen, sind die Bäder von den Inka für spirituelle Rituale verwendet worden. Jedes Becken hat einen Wasserzulauf und Stufen zum hineingehen. Wahrscheinlich haben die Menschen damit auch die Sterne beobachtet, weil die konnte man im Wasser gut spiegeln. Das ist aber alles wahrscheinlich und nicht sicher, weil von den Spaniern im Zuge der Kolonisierung sehr viel Wissen über diese Kulturen vernichtet worden ist. Also graben Archäolog_innen und stellen Thesen auf, wie was wahrscheinlich gewesen ist.
Wir dürfen die Bäder betreten, die Kinder machen Fotos und springen herum. Die Führerin erklärt, dass viele Leute an diesem Ort spirituelle Energie fühlen. Vielleicht nur weil sie es gesagt hat, aber als ich die Schuhe ausziehe und mich ins Gras setzt, übt der Ort wirklich eine bisschen magische Anziehungskraft aus.
Es gibt noch eine weitere Ausgrabungsstätte zu sehen, dahin spazieren wir kurz durchs Dorf. Ein paar Kinder pflücken Orangen, was den Orangenbesitzer ein wenig erzürnt. Auf dem Rückweg schenkt uns ein anderer Verkäufer Zitronen, für jede eine. Ich denke zuerst es sind Orangen, weil die Kinder sie gleich schälen und genussvoll essen. Ein Biss hinein verrät jedoch: Uhhh sauer. Irgendjemand hat Salz aufgetrieben und so essen wir also die Zitronen. Ich warte noch darauf, dass jemand Tequlia bringt.
Als süße Abwechslung habe ich auch ein Stück Zuckerrohr, caña, geschenkt bekommen. Wie man das wohl isst? Abbeissen funktioniert nicht gut. Tipps von den Kindern holen hilft wie immer. Aussaugen geht schon besser. Mal sehen, ob das Zuckerrohr und ich noch Freunde werden. Beim Ausgang vom Museum bekommen wir noch etwas zum kosten: Panela, ein zuckerähnliches Pulver, gemischt mit Maracuja. Lecker. Ich bin ja tendenziell immer misstrauisch, wenn mit Verkäufer_innen etwas schenken wollen. Aber mir scheint, hier ist dieses Misstrauen unnötig, weil die Verkäufer_innen einfach nett sind? Wieder was gelernt.
Auf der Fahrt zurück singen die Kinder spanische Lieder mit dem Radio mit. Ich hänge meinen Gedanken nach. Es zieht ein wenig, weil die Kinder es irgendwie geschafft haben das Fenster auszuhängen. Der Señor Busfahrer nimmts gelassen.
Zurück in Salem haben Felix und Luis schon gekocht, die hungrigen Kinder sind schnell versorgt.
Am Abend lerne ich Cynthia kennen, eine Omi aus Kalifornien, die jetzt hier in Mindo wohnt. Es gefällt ihr einfach zu gut hier. Sie freut sich, dass sie jemanden zum Englisch reden hat, ich auch. Cynthia erzählt mir von Kalifornien und ihrem Leben jetzt in Mindo. Sie ist mega lieb, eine Omi eben. Ich darf gleich zwischen ihr und Luis, dem Musiklehrer übersetzten. Da wird mir wieder bewusst, was es eigentlich für ein Geschenk ist, sich in drei Sprachen annähernd fließend verständigen zu können. Und dass Salem irgendwie ein toller Ort ist. Wenn man da ist, braucht man eigentlich nirgends hinzugehen, irgendwie kommt die halbe Welt hierher.
Liebe Julia!
Da ich gerade etwas Zeit habe, habe ich begonnen deinen Blog zu lesen. Schön, dass du uns an deinem Abenteuer teilhaben lässt. Ich beneide dich um diese Erfahrung und freue mich, von dir zu lesen.
Viele liebe Grüße 😊
Liebe Corina, das freut mich sehr, dass du hier mitliest 🙂
Viele Grüße an deine Lieben daheim!
Liebe Julia,
Es ist schön dass Du Deine Erlebnisse mit uns teilst. Ich habe dadurch dass Gefühl, dass ich alles miterleben darf. Vielen Dank, liebe Grüße Franz
Das freut mich, Franz. Liebe Grüße 🙂