Singen, Tanzen, Staatsgespräche

Eigentlich ist nicht viel passiert heute. Meine Online-Unterricht-Kinder waren auffällig brav. Ich weiß nicht ob das daran liegt, dass sie genauso müde sind wie ich. Oder vielleicht weil sie grad die Hausübung zu Sexualkunde machen müssen. Die wird abwechselnd als sehr lustig und sehr doof befunden, aber dass ich ihnen dabei helfe wollen sie nicht. Ich hätte eh keine Ahnung, wie ich das auf Spanisch erkläre.

Dann habe ich beim Abwaschen ein interessantes Gespräch mit den Kolleg_innen über Kolonialismus. Am 12. Oktober, war der Feiertag, das Kolumbus in Amerika ankam. Der ist ein bisschen umstritten und wurde schon mehrmals umbenannt. Zuerst Día de Colón (Kolumbustag), dann Día de la raza (Tag der Rasse) und heute heißt er schließlich Día de la Interculturalidad y Pluriculturalidad (Tag der Interkulturalität und Pluriculturalität). Wir diskutieren, wie der Tag heute wahrgenommen wird und was man mit den Kinder dazu erarbeiten könnte. Silvana erklärt mir, dass auch in manchen lateinamerikanischen Geschichtsbüchern noch die “Entdeckung Amerikas”-Version der Geschichte vorherrscht. Dass danach beispiellose Massaker, die Auslöschung ganzer Kulturen und Ausbeutung folgten, wird manchmal unter den Tisch gekehrt. Wie in europäischen Geschichtsbüchern eben. Das Verständnis für die Tragweite der Geschichte setzt sich aber langsam durch. Eve ist nach der Diskussion mit ihren älteren Kindern begeistert, wie viel diese schon zu dieser Thematik wissen und wie reflektiert sie sind. Und ich nehme mir vor, dass ich vielleicht doch mal einen Fuß in österreichische Schulen setze und dort Awareness für das Thema schaffe.

Als wäre das noch nicht genug an schwierigen Themen, frage ich Luis beim Mittagessen über die Situation in Venezuela aus. Wie kommt eine wirtschaftliche Situation von 1700% Inflation zustande? Das interessiert mich. Er sagt die Gründe sind vielfältig und komplex. Das Land hat sehr viel Erdöl und solange das in den 1970er und 80er Jahren geboomt hat, war das toll. Mit der Ölkrise kam dann der Absturz, weil das Öl eben das wichtigste Gut für die venezolanische Wirtschaft war. Eine Kombination von politischen Krisen und korrupten Regierungen hat das Ganze nicht besser gemacht. Luis sagt aber, dass nicht nur die Regierung an der Krise schuld ist. Die Menschen hätten in ihrer Verzweiflung Dinge des täglichen Lebens eingekauft und viel teurer weiterverkauft, was den Markt weiter destabilisiert hat. Und jetzt haben wir eben die Situation, dass die Währung, der Bolivar, in den letzten 14 Jahren 14 Nullen verloren hat (also wenn du 100 000 000 000 000 Bolivares hattest, sind die jetzt nur mehr 1 Bolivar wert). Und die Mama von Luís bekommt im Monat nur umgerechnet 4 Dollar Pension. Für mich bleibt das weiterhin unvorstellbar. Irgendwann würde ich gern mal ausführliches Interview mit Luís darüber machen. Das kommt dann aber eh sicher auf den Blog.

Am Nachmittag helfe ich Luís beim Chor. Ich sitze also zwischen den Kindern, passe auf das keines davon rennt und zeige ihnen, wie man die Claves hält. Und mitsingen soll ich auch, ein paar von den Liedern kenne ich sogar schon. Um mich herum krähen die Kinder manche mehr, manche weniger begeistert mit, vorne spielt Luís Gitarre.

Zum Abendessen bin ich bei Eve und ihren Schwestern eingeladen. Wir stehen zu viert in der kleinen WG-Küche und überlegen, wie wir Ripperl zubereiten könnten. Dafür bin ich ja die absolute Expertin, haha. Es dauert fast 2h, aber das Experiment ist essbar. Während wir warten, dass das Essen im Ofen fertig wird, wird getanzt. Wir wollen nämlich auf eine Halloween Party gehen und dort einen Tanz aufführen, damit wir gratis Eintritt bekommen. Aber dafür brauchen wir mal eine Choreografie und Musik. Thriller, von Michael Jackson steht hoch im Kurs. Und weil wir schon dabei sind, zeigen mir die drei auch gleich, wie man sich auf ecuadorianischen Partys benimmt, wie man Shots trinkt – mangels Vodka wird mit Wasser geübt – und wir wiederholen die lateinamerikanischen Tänze. Ich bekomme Komplimente für meinen Hüpfschwung, aber ich glaube die andern sind einfach nur nett. Mal sehen, ob ich das bis Halloween passabel hinbekomme…

(und weil ich zu dem alledem kein sinnvolles Bild habe, ist der Header jetzt unser Schwungtuch, das noch geflickt werden muss).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert