Den Morgen verbringe ich gechillt mit Ukulele am Flussstrand. Da kommt man durchs Scotts Dschungelgarten hin. Er hat nämlich so nachhaltig wie möglich gebaut und deswegen ist der Großteils des Grundstücks.. naja Dschungel. Mit Wegen dazwischen. Die sind ein bisschen matschig für Flipflops, aber ich hab ja Hühnerstallerfahrung aus Mindo. Danach kommt man durch jeden Matsch. Mago, Scotts Hund, begleitet mich. Es ist heiß, ich schmiere viel Sonnencreme, es bringt wenig. Der Fluss ist wider Erwarten relativ kalt. Kein Vergleich zum Cuyabeno-Fluss. Schade. Trotzdem schmeiße ich mich in die Fluten und Mago kommt gleich mit. Ich freue mich über ein bisschen Gesellschaft. Wirklich zum schwimmen taugt der Misahuallí hier nicht, er ist ähnlich tief wie der Fluss in Mindo. Aber zum Abkühlen reichts. Ich liege in der Sonne, spiele Ukulele und freue mich über das schöne Wetter.
Am Nachmittag möchte ich aber ein bisschen erkunden und frage Scott aus, um Pläne für heute und die nächsten Tage. Morgen möchte ich zur Wildtierauffangstation Amazoonico, die ist ein bisschen weiter weg, auf der anderen Seite des Flusses. Schwierig sagt Scott. Denn die Brücke ist eingestürzt. Eigentlich eh schon vor 1.5 Jahren, aber das interessiert irgendwie keinen. Naja, ich hab ja den ganzen Tag um herauszufinden wie man da hin kommt.
Zuerst gehts nach Misahualli ins Dorf. Dafür ist eh ein Taxi da, dass andere Gäste bringt. Praktisch, denn die Unterkunft ist ein wenig außerhalb. Misahuallí ist ein süßes kleines Dorf mit ungefähr 7 Ecken, einem Park, 5 Touristenbüros, ein paar Restaurants und Marktstände und besagter eingestürzter Brücke. Darum haben sie einfach ein gelbes Peligro-Band gespannt und ein Auto davor geparkt. Problem gelöst.
Ein paar Minuten vom Park kommt man zum Flussstrand. Hier mündet der Misahualli in den Napo. Die Sonne scheint, hinter dem Fluss ragen Strände und Bäume auf, Kanus liegen im Wasser, der Strand ist voller Leute. Es ist Osterwochenende und das merkt man. Ich spaziere herum, bahne mir einen Weg durch Leute und Fressstände und finde mich schlussendlich im Dorf wieder. Dort komme ich mit einem der Tourguides ins Plaudern. Er stellt sich als Kleve vor und hat gerade nichts zu tun. Deswegen zeigt er mir die Affen im Wald neben dem Strand und nimmt mich mit auf einen Spaziergang. Weil er nett wirkt und wir unter Leuten sind, beschließe ich das Angebot anzunehmen. Die Affen hüfen zwischen den Bäumen herum, versuchen den Touristen Sachen zu klauen, die wiederum versuchen sie zu füttern. Eine Gruppe von etwas 15 Affen lebt hier, Klever kennt sie mit Namen. Dort hinten ist der Anführer. Die jungen Affen spielen frech herum und überlegen, ob sie sich jetzt noch näher an die Menschen bewegen.
Der Waldweg führt weg vom Strand, gesäumt von gehenden Palmen und Dschungelbäumen. Wir finden eine Raupe. Auf einer Lichtung ist ein Restaurant, es wachsen Bromelien, Hühner laufen herum. Ich kriege Mindo-Flashbacks, ich glaube ich hab die letzten Wochen ein leichtes Hühner-Trauma abbekommen. Kleve fragt, ob ich Guayusa schon kenne. Tue ich nicht. Er beschließt, mich auf einen Guayusa-Tee einzuladen und ehe ich mich versehe hat er schon bei seinem Freund in der Bar bestellt. Langsam bin ich mir nicht mehr sicher, ob das in Richtung Tour oder Date geht, aber wer weiß das schon. Der Guayusa-Tee wird kalt mit Eiswürfeln serviert, in einer großen braunen Schale, ähnlich einer Kokosnuss. Daraus schöpft man heraus in kleinere runde Becher. Die sind alle aus Calabasa gemacht, einem Kürbisgewächs. Der Guayusa-Tee schmeckt ein bisschen wie Eistee Zitrone von Nestle. Super erfrischend und lecker. Außerdem wirkt er aufputschend und fruchtbarkeitsfördernd und bindet einen für immer an den Dschungel. Zweiteres brauche ich zwar nicht, aber letzteres ist sowieso schon passiert. Wir quatschen über die Amazonía, meine Arbeit mit den Kindern in Mindo, seine Arbeit hier und in Tena als Tourguide. Ich erzähle auch ihm, dass ich nach Amazoonico will morgen. Schwierig, weil die Brücke… ja ich weiß schon.
Dann möchte ich zu der indigenen Community, die Scott mir empfohlen hat. Kleve organisiert mir einen seiner Kanu-Freunde als Taxi. Wenn man hier nach einem Taxi über den Fluss fragt zahlt man nämlich 50 Cent. Fragt man nach einem Kanu (was eigentlich ein und dasselbe is) zahlt man viel mehr. Touris vs. Insiderwissen wohl. Kleve gibt mir seine Nummer und wird versuchen mir morgen ein Taxi zum Amazoonico aufzutreiben. Rodrigo gibt mir auch seine Nummer, falls ich wieder zurück will. Irgendwann explodiert mein Handy noch vor lauter Nummern dieser Tage.
In der Kichwa-Community gibt es eine kleine Einführung und wir bekommen Guayusa-Tee zu trinken und sogenanntes Chicha de Yuca. Das ist Alkohol aus Yuca und schmeckt ein bisschen wie Sturm, nur nicht so süß. Dann zeigen sie uns auch gleich wie man das macht. Yuca kochen, zerdrücken, gären lassen. Dann gibts eine Tanzvorführung von Frauen in traditioneller Kleidung – mit Samen geschmückte BHs und Strohröcke. Trommeln, Rhytmus, sie laden uns ein, mitzumachen. Beim Hinausgehen fragen kleine Mädchen, ob sie uns das Gesicht anmalen dürfen, das soll böse Geister vertreiben. Für 50 Cent. Okay. Ich bin ja ein bisschen zwiegespalten bei der ganzen Sache, muss ich sagen. Einerseits hab ich immer eine mahnende Stimme aus meinem Studium im Kopf, die über kulturelle Aneignung spricht und dass man nicht Gebräuche und Sitten von anderen Kulturen übernehmen soll. Und irgendwie ist es ein komisches Gefühl, dass die indigenen hier ihre Kultur und Bräuche so dem Tourismus zur Verfügung stellen. Ein bisschen wie im Zoo. Freiwillig? Naja, sie machen Geld damit. Interessant ist der Einblick aber schon. Schwierige Sache. Ich werde damit nie so ganz eins werden.
Ich spaziere herum und entdecke ein altes Kanu und ein Floß neben dem Fluss. Der perfekte Ort zum Fotos machen. Aber allein? Mein Rucksack wird zum Stativ umfunktioniert, ich brauche ca. 10 Versuche bis das Handy nicht mehr umfällt und versuche mein Glück mit dem Zeitauslöser. Naja, ein bisschen üben aber dann gehts. Währenddessen kommen zwei Typen, fragen ob ich was brauche. Einer ist von hier, zeigt mir gleich sein Haus und wie sie hier leben. Ähhh thanks und tschau. Ich mache lieber meinen Weg zum Mirador, von dem Scott erzählt hat. Ein Kanu legt an, hinter dem Fluss ragen die Berge auf. Vom Aussichtspunkt sieht man bis zum Hafen von Misuhualli. Oben auf der Plattform überrasche ich drei Kinder beim spielen. Zuerst sind sie schüchtern, dann beginnen sie im Geld zu betteln. Ich gehe. Das ist die andere Sache, die mir neben dem ganzen Kultur-Dings immer unangenehm sein wird: Das weiß sein, Touristin sein und reich assoziiert werden. Cara de gringo nennen wir das hier. Gringo-Gesicht. Und gegen meine Hautfarbe kann ich genauso wenig machen wie alle anderen Leute auf diesem Planeten. Nervig ist das im Alltag manchmal trotzdem.
Zurück in der Community schaue ich noch in den Shop und kaufe so einen Teebecher, aus dem Guayusa getrunken wird. Das will ich unbedingt nachmachen. Hungrig mache ich mich auf den Rückweg zum Strand und schaffe es trotz Touri-Image den 50-Cent-Taxipreis auszuhandeln. Am Strand habe ich Lust auf…. Pizza mit Ananas. Obwohl es genug einheimisches Essen gibt, aber seit der Abreise unserer Pizza-Dudes in Mindo hab ich keine gute Pizza mehr gegessen. Und Kokossaft muss her. Irgendwie taucht auch Hund Mago auf, er ist ins Dorf gelaufen.
Ich schlendere durchs Dorf und erzähle allen Guides und Touri-Büros, dass ich morgen nach Amazoonico will, ob nicht jemand eine Gruppe hat? Am Schluss habe ich noch ein paar neue Telefonnummern und mindestens so oft meine hinterlassen. Mal schauen, ob das so funktioniert.
Die Affen haben sich mittlerweile in den Park vorgewagt und machen Theater. Die Touristen geben ihnen Trinkflaschen oder Becher, die Affen versuchen zu trinken, spielen mit dem Wasser und kleckern alles an.. Scheu sind sie nicht, denn auf einmal sitzt einer bei einem Mann auf der Schoß. Aber eine Sekunde später schon wieder hoch oben auf dem Baum. Eine Show.
Noch schnell einkaufen, dann trete ich zu Fuß den Rückweg zu Scott an. Die Sonne sinkt langsam, während ich am Fluss entlang und an Bananenbäumen vorbei marschiere. Dann sehe ich aber noch was am Flussufer. Ein Seil. Zum Schwingen? Weil ich allein auf noch mehr dumme Ideen komme wie in der Gruppe muss das natürlich ausprobiert werden. Huiiii, schon schwinge ich über den Fluss. Nochmal, nochmal. huiiii. Und schwimmen könnte ich hier eigentlich auch gehen. Eine Viertelstunde habe ich noch bis zum Sonnenuntergang. Schnell in die kalte Flut, Ist das eine Schlange? Nein, doch nur ein Stock. Ok. Ich genieße das kalte Nass nach dem heißen Tag.
Für den letzten Rest des Weges nimmt mich der Wassertransporter mit. Der Fahrer fährt morgen auch Richtung Amazoonico. Ich hab sinee Nummer. In der Lodge komme ich in der Dunkelheit mit Taschenlampe an. Vorsichtig, Snaketime, wie Scott sagt. Aber ich treffe keine. Stattdessen lerne ich meine neuen Mitbewohner_innen kennen: Leonie und Tarik, Shelly und Lee wohnen in den Blockhütten.
Den Abend verbringe ich Bier trinkend mit Leonie und Tarik am Lagerfeuer. Es funkeln ein paar Sterne.
Ich falle ko ins Bett. Man trifft wirklich viel mehr Leute, wenn man allein unterwegs ist. Viele Leute, viele Eindrücke, viel Sonne, jedes mal dasselbe Gespräch, auf das ich schon bald keine Lust mehr habe. Über mein Volontariat, wie lange ich noch da bin, wo ich Spanisch gelernt habe usw. Aber ich muss sagen, allein macht man auch ganz andere Erfahrungen als in der Gruppe. Denn mit ein bisschen Glück gerät man nette Leute, führt interessante Gespräche und entdeckt Plätze und Dinge, die man sonst nie gesehen hätte. Aber dass ich beim allein reisen so wenig allein sein werde, hätte ich nicht gedacht.