Die Sache mit der Sprache

Sprechen, hören, verstehen. Die richtigen Worte finden. Überhaupt Worte finden. Sprache ist ein komisches Konzept. Und zwischen den Sprachen ist es nicht immer einfach. Ich habe mit Englisch, Spanisch und Deutsch wirklich einen Jackpot gelandet hier. Ich verstehe alle anderen, solange sie nicht mir Französisch daherkommen, was sehr selten passiert. Alle anderen verstehen mich nicht immer. Nur wenn ich will. Oder wenn ich Worte finde.

Deutsche Sprache schwere Sprache

Ich arbeite gerade an einer Radiosendung. Die Interviews habe ich auf Spanisch geführt, auf Deutsch sollen sie ausgestrahlt werden. Also heißts übersetzen. Das ist gar nicht so einfach. Nicht, weil ich es nicht verstehen würde. Sondern eher, weil es für manche Sachen in anderen Sprachen keine Ausdrücke gibt. Weil ich manchmal in meiner Muttersprache nach Wörtern ringe, um etwas auszudrücken, was in einer Fremdsprache komplett klar ist. Ich befrage den Online-Übersetzer. Der hat immer hilfreiche Vorschläge. Aber so sagt man das auch nicht. Was ist denn da ein halbwegs passendes deutsches Wort? Das hört sich holprig an, wie übersetze ich jetzt diese Redewendung? Manchmal denke ich, ich habe schon mehr Gefühl für Spanisch, als für Deutsch. Die spanische Sprache hat viel Gefühl, viele Feinheiten, die ich über die Zeit gelernt habe und immer noch lerne. Deutsch eignet sich super zum anschaffen, zum höflich sein, zum pointieren, zum schimpfen. Unsere Freund_innen hier bekommen meist schon Angst, wenn Felix und ich nur auf Deutsch diskutieren, dabei streiten wir gar nicht. Deutsch ist eine harte Sprache. Spanisch ist viel weicher.

Die SALEM-Website funktioniert in drei Sprachen. Spanisch, Englisch, Deutsch. Das Übersetzen von Inhalten oder Artikeln ist also mein Alltag in der Öffentlichkeitsarbeit. Was nicht heißt, das es einfach ist. Jonas? Wie nennen wir diesen Menüpunkt denn jetzt auf deutsch? Hat die eigentliche Übersetzung auch wirklich denselben Sinn? Ist das Wort nicht anders konnotiert? Oder ist das wieder ein österreichisch-deutscher Unterschied, von denen wir auch schon genug entdeckt haben?

Verstehtst du mich?

“Kannst du mal übersetzen?” fragt eine Freundin. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass Felix und Blake ein paar Sätze auf Englisch gewechselt haben. Schnell wiederhole ich auf Spanisch. Das Übersetzen funktioniert gut, der Wechsel zwischen den Sprachen ist ein Chaos. Oft genug passiert es mir, dass ich eine Person in der falschen Sprache anrede und erst zwei Sätze später draufkomme. Dass mir irgendwelche Wörter nicht einfallen und ich sie mir einfach aus einer anderen Sprache nehme. Eigennamen überhaupt. Die Sandkiste ist meist auch auf Deutsch der arenero, wie ich den Comedor übersetzen soll weiß ich bis heute nicht und “cascadas” finde ich eigentlich auch viel schöner als “Wasserfälle”.

Die Kinder haben auch eine neue Taktik, um mit Sprache zu verwirren: Sie beschimpfen sich neuerdings in mexikanischem Spanisch. Das haben sie bei Videospielen oder sonst wo gelernt, jedenfalls kennen nicht einmal die Pädagoginnen die Wörter, mit denen sie sich bewerfen. Man lernt nie aus. Wir werden uns wohl eine Liste mit Schimpfwörtern der ganzen Welt anlegen müssen.

Mein Hirn ist wohl etwas verwirrt mit diesen ganzen Sprachen. Manchmal dreht es sich im Kreis, mal verknotet es sich, dann geht gar nichts mehr. Sprachlos. Ich finde keine Worte. Dann versuche ich in einer anderen Sprache zu suchen, in der Hoffnung, dass die Person mich auch versteht. Mein Spanisch verläuft in Wellen, so wie alles hier. Am Anfang ist es ordentlich bergauf gegangen, dann hatte ich wieder Phasen wo es schlechter wurde, jetzt ist es realtiv stabil. Ich habe mir den hiesigen Akzent und den Slang angeeignet und weiß ihn auch zu benutzen. Trotzdem gibt es immer noch Tage, wo das Spanisch einfach nicht fließen will. Aber das ist auch okay.

Let’s talk about… sex

Ein Wort, der ganze Tisch brüllt vor Lachen. Ich habe wieder einmal ein Fettnäpfchen der Doppelbedeutungen erwischt. Vielleicht auch absichtlich, denn viele davon kenne ich mittlerweile. Nicht alle, denn oft genug macht jemand einen Wortwitz und Felix und ich blicken uns nur ratlos an. Nach Erklärung ist es manchmal klar, manche Feinheiten des ecuadorianischen Spanisch kann ich aber einfach nicht fassen. Dafür haben wir mittlerweile eine Reihe an Deutsch-Spanischen Wortwitzen kreiert, die außer uns keiner versteht.

Generell scheinen aber die spanische als auch die englische Sprache irgendwie zu wenige Wörter zu haben. Zumindest sind sehr viele davon mit doppelten Bedeutungen besetzt. Vielleicht auch nur wenn man eindeutig zweideutig denkt….. aber sonst wäre das alles ja auch nur halb so lustig. Um sinnvoll über tabuisierte Themen zu reden, fehlen einem dann wieder die Vokabeln. Das fällt mir letztens bei einem Workshop über weibliche Sexualität auf. Was zur Hölle heißt Zervixschleim auf Spanisch? Dem Inhalt folgen kann ich, denn die Bedeutung der meisten Worte erschließt sich aus dem Kontext. Aber selber sagen, was ich sagen will? Geht nicht. Manchmal KÖNNEN wir über tabuisierte Themen gar nicht sprechen. Weil wir die Worte dazu nicht haben, weil uns die Vokabeln niemand beigebracht hat, weil man darüber nicht redet. Jetzt schon, ich habe einiges gelernt. Und Zervixschleim heißt “moco cervical”, nur falls es jemand mal braucht.

Mein Sprachschatz

Es ist nicht selbstverständlich, sich ausdrücken zu können, zu verstehen. Was für ein Schatz Mehrsprachigkeit eigentlich ist, ist mir erst unlängst auf der Trauerfeier von Paco wieder bewusst geworden. Seine Familie, die aus den Staaten angereist ist, spricht fast kein Spanisch. Hier wiederum können die wenigsten sinnvolles Englisch. Die Feier wird also zweisprachig abgehalten. Noch lange sitzen wir beisammen, plaudern und tauschen lustige Geschichten über Paco aus. Eine Bekannte möchte Pacos Tochter etwas erzählen. Das Problem: Die eine spricht Spanisch, die andere Englisch. Ich setze mich schnell dazwischen und dolmetsche. Es ist keine schwierige Konversation. Wir quatschen herum, im Dreieck, zwischen den Sprachen. Zwischen reden und verstehen. Lachen, haben Tränen in den Augen. Und am Schluss schauen mich beide dankbar an. Danke, fürs Übersetzen. Kein Problem. Am dankbarsten bin eigentlich ich selbst. Dass ich etwas beitragen konnte zur Konversation von zwei Menschen, dass ich meinen Sprachschatz teilen konnte. Denn dafür ist er da.

Sprache öffnet Türen, öffnet Welten. Und alle Mathelehrer dieser Welt muss ich enttäuschen, ich finde Sprache ein wichtigeres Gut. Baut euch einen Sprachschatz auf. Teilt ihn. Hütet ihn. Ich werde meinen hüten. Damit er mich trägt durch die Welt und mir weiter Einblicke gibt. Damit ich reden und verstehen und gehört werden kann. Und denen eine Stimme verschaffen, die in manchen Welten nicht sprechen können.

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