Es geht nach Österreich und das bald. Ich merke in letzter Zeit, dass ich gedanklich langsam wieder hinüber gleite in die andere Welt. Nach Wien, zurück zu meiner Familie, meiner Wohnung, meinen Freund_innen, meinem Studium. Eigentlich freue ich mich. Andererseits habe ich mich schon so eingefunden hier in der Welt in Mindo, dass es wahrscheinlich ein ziemlicher Kulturschock wird, heimzukommen.
Heim. Zu Hause. Heimat, fremde Heimat. Was ist überhaupt Heimat? Die, die wir so viel unterwegs sind, können das wohl gar nicht richtig sagen. Heimat ist da, wo ich mich wohl fühle, wo ich liebe Leute um mich habe. Das ist nicht nur ein Ort. Das sind viele und das Los der Reisenden ist es, nie an all diesen Orten gleichzeitig sein zu können. Nie alle Lieben auf einmal um sich zu haben. Weil sie verstreut sind über die ganze Welt. Dafür hat man fast überall jemanden.
Mindo. Das Dorfleben, die Natur, SALEM, meine Katze. Daran habe ich mich gewöhnt das letzte Jahr, es war mein Zuhause. Bald wird es das nicht mehr sein. Ich werde hinübergleiten in die andere Welt, wieder in Wien wohnen, studieren. Diskussionen über Feminismus führen und über Intersektionalität. Wieder mehr meinen Kopf benutzen als meine Hände. Nicht mehr mit Kindern arbeiten. Irgendwie meine Miete zahlen. Mit meiner besten Freundin zusammenwohnen. Auf die meisten dieser Sachen freue ich mich. Aber ich habe auch Angst. Angst, dass das einst Gewohnte fremd geworden ist, dass ich mich nicht mehr einfinde an dem Platz, der meiner sein soll inmitten Europas. Zu groß die Ungerechtigkeit, die Differenz, die ich spüre zu meinen Freund_innen hier. Zu lähmend das Regelkonstrukt Europas. Hier komme ich mir viel freier vor. Zu präsent der Kapitalismus. Riesige Einkaufszentren. Firmen mit Millionenumsätzen. Ich kann alles bestellen, was ich will. Es ist ein Kontrast. Ein Kontrast, dessen ich mir schon vorher bewusst war, doch der das Jahr hier geprägt hat. Ich habe Angst, dass ich den Leuten fremd geworden bin in Österreich, den Gewohnheiten und Normen, mir selbst. Leben auf österreichisch, kann ich das noch?
Aber irgendwie gleite ich hinüber, in die fremde, doch vertraute Welt. Im Megamaxi in Quito letztens kriege ich gar nicht mehr so die Krise. Und habe auch nicht das Bedürfnis Tofu und veganen Käse zu kaufen. Das habe ich eh bald wieder. Viel mehr schätze ich die Bananenchips bei Luisa. Die Ananastaschen der Bäckerei. Das schnelle Feierabendbier mit Edwin.
Die Nähe des Dorfes werde ich vermissen. Alle Freund_innen auf einem Fleck zu haben. “Döner macht schöner”-singend auf dem Motorrad heimgebracht werden. Schnell mal bei irgendwem vorbei schauen. Im Fluss baden gehen. Tela im Park machen. Eine Runde drehen und eine Stunde dafür brauchen, weil man alle 20m jemanden zum tratschen trifft. Auf der anderen Seite der Taltrichter in dem Mindo liegt, in dem ich mich manchmal eingesperrt gefühlt habe. Die immer selben Leute, die ich gern habe, denen ich aber auch nicht aus dem Weg gehen kann, wenn man sich mal verkracht hat.
Wie wird Wien? Anders. Mit mehr Leuten, längeren Wegen, einer anderen Art von Natur. Eine andere Freiheit, ein anderes Eingesperrt sein. Aber die verschiedenen Welten, für die muss man nicht mal bis Ecuador reisen. Ich habe sie hier, ich habe sie in Österreich. Dort das hin und her pendeln zwischen Wien und Matzen. Beides seine ganz eigene Welt. Das eine die Welt, in der ich aufgewachsen bin, die andere habe ich mir zum Erwachsenwerden ausgesucht. In beiden bin ich zuhause. Und beide sind so unterschiedlich.
Hier sogar im kleinen, Sules Haus und SALEM. Meine zwei Daheims, zwischen denen ich gerade pendle. Will ich meine Ruhe haben oder Frauengespräche mit Sule, ziehe ich in das kleine Zimmer am Fluss. Habe ich Sehnsucht nach der Katze laufe ich den Weg nach SALEM hinauf und sie läuft mir schon entgegen. Hätte ich sie doch mitnehmen sollen? Ihrer Welt entreißen, in meine, mir fremd gewordene Welt einführen? Nein, sie hat es gut hier. Aber schlaf doch heute drüben bei ihr, sagt Sule. Miau Schnurr, sagt die Katze. Und freut sich. Und ich mich auch.
Es kommt zu einem Ende hier. Und am Ende wird auch alles gut, so wie in schönen Geschichten. Viele zwischenmenschliche Spannungen scheinen auf einmal aus dem Weg geräumt, die Verzweiflung, die mich zwischendurch eingeholt hatte, ist vergangen. Melancholisch lassen alle die schönsten Momente des Jahres Revue passieren. Festgehalten auf Fotos, auf dem Blog und in unseren Herzen.
Ich suche wieder. Was ich suche, weiß ich nicht. Aber ich werde es hier in Mindo nicht mehr finden. Deswegen ist es auch okay, dass die Zeit zu Ende geht. Ich habe viel gefunden in dem Jahr. Selbstbewusstsein, wertvolle Erfahrungen, einen Einblick in eine andere Welt. Eine, die zu meiner Heimat geworden ist. Jetzt werde ich weiter suchen, in der anderen Heimat. Eine Reisende, suchend, zwischen den Welten. Suchend und findend, immer neue Blicke gewinnend, auf die Welten und ihre Facetten, die vielfältiger nicht sein könnten. Das bin ich, zwischen den Welten.