Heute war ein sonniger, ruhiger Tag. Wenn hier die Sonne scheint und der Himmel blau ist, sieht man sogar mal wo die Berge aufhören und der Himmel anfängt. Da hängt sonst meist eine Nebelschicht oder Wolken drüber. Den Tag haben wir in SALEM verbracht, Hängematten in die Bäume gespannt und auf die kleine Katze aufgepasst. Die wurde heute sterilisiert und ist noch etwas tapsig unterwegs.
Mein Hängemattenplatz in den Bäumen ist sehr gechillt und hat einen Premium-Eingang über die Seilbrücke der Kinder. Wir haben zwar ein wenig gebraucht, die Hängematte dort zu fixieren und noch länger hab ich gebraucht, bis ich das erste Mal drin war. Ich kann ja ganz gut klettern, aber scheiss mich trotzdem immer an. Beim zweiten Mal gehts dafür schon viel leichter. Und eine Hängematte auf dem Baum in der Sonne, die leicht im Wind schwingt, das ist doch der perfekte Ort zum Nachdenken.
Einen Monat sind wie jetzt schon da und ich habe mir vorgenommen ein bisschen Resümee zu ziehen über die ersten Wochen hier. Wie es mir geht? Sehr gut, zumindest so 90% der Zeit. Ich lerne viel, versuche alles genau zu beobachten und sehe jeden Tag neue Dinge. Ich erlebe Abenteuer, überwinde mich und bekomme Belohnungen dafür. So wie Wasserfälle und Hängematten. Was mich noch so begleitet nach meinem ersten Monat hier?
Naturverbundenheit. Durch den offenen Baustil ist man hier eigentlich immer an der frischen Luft, auch drinnen. Ist manchmal unpraktisch, weils zieht oder kalt ist. Aber dagegen hilft mittlerweile meine Alpakaweste. Vor allem aber verbindet es einen viel mehr mit draußen. Wie oft ich mich in Wien gefragt habe, wie eigentlich das Wetter draußen ist? Hier nicht ein einziges Mal. Da frage ich mich höchstens wieso zur Hölle es eigentlich schon wieder regnet. Aber daran gewöhne ich mich auch noch. Was ich wirklich genieße, sind die Tiere. Ok, Kakerlaken und Spinnen ausgenommen. Aber ich wollte eigentlich immer Haustiere und habe als kleines Kind den Bauernhof meiner Großeltern geliebt. Jetzt hab ich alles in Kombi. Die Katzen hab ich schon komplett ins Herz geschlossen, die Hühner sind auch toll, mit dem ein oder anderen Hund habe ich mich schon angefreundet und immer wieder freue ich mich über Vögel oder Schmetterlinge, die es daheim nicht gibt.
Hände statt Kopf. Ich hatte noch nie so viele Tage in Folge, an denen ich mein Gewand schnurstracks in die Wäsche und mich unter die Dusche geschmissen hab. Sei es durch den Matsch rennen und Hühner fangen, Schaukel oder casita reparieren oder sonst was: Lange bleibe ich meist nicht sauber. Aber die körperliche Arbeit macht Spaß. Nach 16 Jahren und unserem Schul- und Unisystem einmal mehr mit den Händen zu arbeiten als mit dem Kopf ist echt entspannend. Ich mag mein Studium eigentlich gern, aber irgendwie ist es auch mal sehr nett, eine Schaukel als Ergebnis in den Händen zu halten als das hundertste PDF-Dokument mit einer Hausübung.
Begegnungen. Lauter neue Leute, neue Freundschaften. Es war anfangs nicht leicht, sich darauf einzulassen. Werden die mich mögen? Was bedeutet Freundschaft hier eigentlich und wie funktioniert das? Wie gehen zwischenmenschliche Beziehungen auf ecuadorianisch? Antworten auf diese Fragen habe ich noch nicht ganz, aber ich lerne weiter. Und ich habe so viele verschiedene Leute kennengelernt und der kurzen Zeit hier und alle waren irgendwie bereichernd und beeindruckend. Ich habe Einblicke in Lebensgeschichten bekommen, die mich fasziniert oder auch ziemlich betroffen gemacht haben. Ich habe schon jetzt so viele unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt kennengelernt.
Daheim. Dass ich da bin, wäre nicht möglich ohne viele liebe Leute daheim, die mich in der Vorbereitung unterstützt haben und auch jetzt. Manche von ihnen hab ich mit, in Form einer Kiste mit Briefen. Die lese ich jetzt nacheinander und lasse mich inspirieren, was mir alle auf meinen Weg mitgeben wollen. Und rückblickend gesehen war der Abschied halb so schlimm. Die letzten Monate daheim habe ich damit verbracht mir Sorgen zu machen was sein wird und zu versuchen meine zwischenmenschlichen Beziehungen irgendwie zu ordnen. Keine Ahnung, ob das gelungen ist, aber irgendwie passts. Für mich. Und wenn ich nachhause videotelefoniere sehe ich lachende Gesichter, die sich freuen, dass ich mal wieder anrufe. Und ich lächle auch. Das heißt nicht, dass ich nie Heimweh hatte und alles easy ist. Aber für solche Momente gibts dann halt die Briefkiste, die Katze zum kuscheln und Videotelefonie. Damit gehts dann doch ganz gut.
Der Blog. Ich dachte ja nicht, dass ich mal Bloggerin werde und würde mich auch nicht als solche bezeichnen. Und grundsätzliche stehe ich sehr skeptisch dazu, persönliche Sachen im Internet zu teilen. Der Blog ist ja eigentlich wie Facebook und Instagram ein soziales Medium und die können doch sehr toxisch und selbstdarstellerisch werden. Aber ich schaue mir das mal an, hab ich mir gedacht in meiner ersten Woche hier. Mittlerweile ist das hier ein fast tägliches Tagebuch geworden, dass ich gerne befülle. Und anscheinend wird es auch gerne gelesen, von meinen engsten Freund_innen und Verwandten daheim, aber auch von einigen anderen Leuten, die mich durch dieses Jahr begleiten möchten. Ich möchte auch mal ein dickes Danke sagen, für euer fortlaufendes Interesse und viele liebe Worte, die ich schon bekommen habe.
Ruhe. Ich bin in vielen Dingen ruhiger, seit ich da bin. Auf gewisse Weise habe ich sogar die letzten Tage im Bett genossen, als ich krank war. Weil ich nicht den Gedanken haben musste “omg aber nächste Woche ist diese und jene Uni-Deadline, ich muss was tun”. Nein, es war ok und als ich mich besser gefühlt habe, bin ich wieder arbeiten gegangen. Fertig. So ganz ruhig bin ich immer noch nicht, aber das wird. Wie Sulema letztens auch bei den Capacitaciones angemerkt hat, ich bin manchmal einfach noch gestresst, gerade im Umgang mit den Kindern, weil alles neu ist. Aber das wird mit jedem Tag besser. Die Gelassenhaut und auch die Sprache. Generell tut man sich hier in Ecuador nicht so viel an, wenns Probleme gibt. Ich bin da im Moment oft noch sehr aufgeregt, wie man das daheim eben so ist. Puls auf 180 und geht schon. Aber ich lerne. Atmen, nochmal drüber nachdenken und dann ist es vielleicht gar nicht mehr so schlimm.
Freiwilligeneinsatz. Ein großes Wort für eigentlich kleine Sachen. Ich bin hier Assistentin, helfe mit den Kindern, versuche mich bestmöglich einzubringen und putze manchmal auch den halben Tag. Das ist jetzt nicht sonderlich heroisch. Aber ich freue mich, dass ich einfach da sein kann, das alles hier erleben und viel lernen kann. Über die Welt und über mich. Und das führt mich zum nächsten Wort: Dankbarkeit: Es ist nicht selbstverständlich, dass man die Chance für einen Freiwilligeneinsatz hat. Dass man die Ressourcen und die Unterstützung dafür bekommt. Dass einen vor Ort alle megalieb aufnehmen. Und dass man schon in der ersten Woche beginnt, Eindrücke und Abenteuer zu sammeln. Dafür bin ich einfach dankbar.
Ziellos losziehen. Viele Leute haben mir in ihren Briefen geschrieben, dass sie hoffen, ich finde hier, was ich suche. Eigentlich weiß ich (noch) nicht was ich suche. Freiheit? Freude? Einen Plan für wichtige Lebensentscheidungen, die in den nächsten Jahren anstehen? Vielleicht. Was ich versuche zu tun? Mehr im Moment leben. Genießen. Nicht rennen. Vielleicht habe ich damit schon etwas gefunden.
Liebe Julia, vielen Dank für Deine Gedanken, sie schaffen es, dass auch in ganz weit entfernten Gegenden (z.B. österreich…..) die Dinge des täglichen Lebens und Bedürfnisse die man hat, die vielleicht für selbstverständlich genommen werden, so zu relativieren, so zu sehen dass der wahre Wert an die Oberfläche kommt. Vielen Dank
Liebe Grüße Franz
Liebe Julia,
wie schön, von dir zu lesen – und zwar neben den vielen Erlebnissen und Eindrücken, an denen du uns teilhaben läßt genau DAS, deine Gedanken vom 26. September! Ich denke schon, dass du etwas “gefunden” hast, sehr viel sogar, nach meiner bescheidenen Meinung.
Und ich hab auch etwas gefunden, nämlich die Möglichkeit, mit dir und Felix ganz viel Neues kennenzulernen und zwei ganz besondere, großartige Menschen.
Viele Grüße,
Eva