Das Leben verläuft in Wellen. Das Copyright für diese Weisheit geht an Felix. Der gibt manchmal kluge Sachen von sich, und gerade das fasst die letzten drei Monate gut zusammen. Es stimmt, dass es nach jeden Tief wieder steil bergauf ging. Irgendwann fliege ich wieder hoch dahin, um nur Ikarus-like zu nah an die Sonne zu kommen und abzustürzen. Dann kommt sowas wie eine Magenverstimmung, die mir nicht nur den Magen, sondern auch die Woche verdirbt. Die ist aber dann auch mal wieder vorbei, und ich fliege weiter. Hoch, glücklich und unbeschwert. So funktioniert das.

Ich fliege weiter, in einer ein bisschen verkehrten Welt. Weil alles gleichzeitig nah ist und so weit weg. Weil die Zeit lang ist und doch so kurz. Weil es hier früh ist und daheim so spät. Weil meine Schritte klein sind und doch so groß.

So weit weg und doch so nah. Mein Bruder und meine Eltern, in kleinen Rechtecken auf meinem Handy. Dieselben Gespräche, die wir auch in Matzen im Wohnzimmer führen könnten. Nur sind dort jetzt gerade nur zwei von uns. Die Kasteln im Handykastl sind alles, was uns verbindet. Hört sich wenig an, ist aber doch so viel. Denn die Gespräche sind dieselben.

So nah und doch so weit weg. Von der Uni erzählt mir meine beste Freundin. Lockdown ist jetzt in Österreich, schreibt der Standard. Draußen ist es schon richtig kalt, sagen meine Eltern. Stimmt doch alles nicht, sagt mein Kopf. Das ist doch anders. Anders in meiner Realität. Die Uni habe ich ausgeblendet – und sie mich auch, weil in mein Mailkonto komme ich nicht mehr rein. Egal. Statt Lockdown kann ich nächstes Wochenende an die Küste fahren. Vorausgesetzt, wir kommen dort an. Die Busse funktionieren hier nämlich auch ein bisschen anders als daheim. Kalt ist es auch nicht. Es ist bald Dezember, ich laufe immer noch mit Jeans und T-Shirt herum. Weihnachten kommt bald. Unter Palmen im Nebelwald. Ohne meine Familie. Das ist alles verkehrt und doch wahr.

So lang und doch so kurz. Drei Monate sind wir jetzt hier, auf den Tag genau. Die Nachricht hat mich letzte Woche wie ein Steinschlag getroffen. Ein Viertel unserer Zeit hier. Die Zeit rennt jetzt schon. Ich will gar nicht wissen, wie das dann gegen Schluss hin wird. Lichtgeschwindigkeit. Was möchte ich noch alles machen hier? Vergesse ich im gemütlichen Alltag manchmal, dass meine Zeit hier ziemlich begrenzt ist? Oder ist das nicht eigentlich auch sehr okay? Ein Jahr. Es ist mir so ewig lang vorgekommen, zu sagen ich gehe ein Jahr weg. Ein Jahr, 12 Monate, 365 Tage. Wenn die Zeit so rennt, ist das kurz.

So kurz aber doch so lang. Nicht das, was noch kommt, sondern das, was schon war. Mein Blog ist mittlerweile voller Schätze, voller Erinnerungen, die ich in dieser kurzen (oder doch langen?) Zeit hier gesammelt habe. Reisen, Ausflüge, viele Dummheiten, Arbeit und Alltag. Erfolge und Misserfolge. Freundschaften, die sich in den paar Monaten geformt haben. Oder eigentlich auf einmal da waren. Und nicht mehr wegzudenken sind. Dafür bin ich sehr dankbar. Denn ohne die Leute, mit denen ich sie erlebe, wären Reisen, Ausflüge, die vielen Dummheiten, Arbeit und Alltag doch ziemlich faad.

So spät und doch so früh. Ich denke an meine Abreise in Österreich. Ewig geplant, ein Jahr verschoben hatte ich den Einsatz. Und doch kam er im Endeffekt so plötzlich, dass ich bis in die letzte Woche Sachen geplant hatte und nicht einmal mehr meinen Schreibtisch zusammengeräumt habe. Dort herrscht noch immer dasselbe Chaos wie am Tag meiner Abreise, meine Eltern haben es stehen gelassen. Befremdlich, aber irgendwie vertraut. Denn ein sauberer Schreibtisch gehört normalerweise nicht zu meiner Ausstattung. Oder vielleicht wollte der Schreibtisch auch nur als Metapher fungieren, für all das Chaos, das ich vor meiner Abreise nicht mehr aufräumen konnte. Ordnung am Tisch ist Ordnung im Kopf, sagte meine ehemalige Deutschlehrerin immer. Mal sehen, was passiert, ob er sich von selbst zusammenräumt. Oder ob ich gleich eine Beschäftigung habe, wenn ich dann irgendwann wieder komme. Oder wenn ich mich hier so sehr verändere, wie manche glauben, räume ich nachher vielleicht sogar öfter freiwillig Schreibtische zusammen?

So früh und doch so spät. Ist es wenn ich nach Hause telefoniere. Nachdem ich um 17:00 Uhr zu Arbeiten aufhöre, ist es daheim 23:00 Uhr. Dank Zeitverschiebung in Europa, vorher wars eine Stunde später. Oder ich stehe um 7 auf, wenn ich denn aus dem Bett komme, dann ist es daheim 13:00 Uhr. Die Kommunikation gestaltet sich immerwährend schwierig.

So groß und doch so klein. “So ein Wahnsinn, dass du dich das traust”. Habe ich oft zu hören bekommen. Schon etwas Großes, mal ein Jahr ans andere Ende der Welt zu gehen. So groß kommt es mir dann gar nicht vor. Ich gehe zur Arbeit, unternehme etwas mit Freund_innen, esse, schlafe, schreibe, musiziere ab und zu, mache immer noch keine Workouts. Alles wie daheim, nur halt mit anderen Personen, eine andere Arbeit, ein anderer Ort, ein anderes Bett. Aber eigentlich fühlt sich das alles schon sehr meins an.

So klein und doch so groß. Das war nicht der Schritt hier herzukommen, sondern manche Schritte hier. Dass ich mittlerweile meinem Umfeld mit mehr Selbstbewusstsein entgegentrete als am Anfang. Dass ich auch hier Leute gefunden habe, mit denen ich Freude und Sorgen teilen kann. Die mich gernhaben und die ich gernhabe. Dass sich die Arbeit größtenteils eingespielt hat und ich auch meistens mit den Kindern klarkomme. Dass ich eigentlich schon superviel in Sachen Social Media und Webdesign gelernt habe. Und dass mich manche Kinder manchmal einfach umarmen, zur Begrüßung oder zwischendurch. Weil sie das anscheinend gerade brauchen, und ich auch.

Nunca dejaré de soñar, sagt die Tinte unter meiner Haut. Ich werde niemals aufhören zu träumen. Das ist meine Weisheit. Mittlerweile ist die Tinte seit ziemlich genau drei Jahren dort und ich habe viel geträumt in dieser Zeit. Vor allem aber hab ichs geschafft, viele dieser Träume in die Realität und in Erinnerungen zu verwandeln. Und manchmal werden die schönsten Erinnerungen auch etwas, von dem ich nie geträumt und das ich nie geplant habe, weil es einfach spontan passiert. Und dann passiert es auch ganz spontan, dass ich nach einem Tief wieder zu fliegen anfange. Das Leben verläuft in Wellen. Ich werde weiter auf ihnen reiten und bin gespannt, wohin sie mich tragen.

Ein Kommentar

  1. Liebe Julia!
    Vielleicht sind wir gerade alle mit einem etwas schwachen Nervenkostüm ausgestattet, aber dieser Eintrag von Dir hier berührt mich gerade sehr. Viele, viele liebe Grüße und auf ganz viele Neue deiner kleinen Schritte.
    Corina

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