Sie schaufelt bedächtig Sand in den Kübel. Das wird eine Sandburg. Kübel umgedreht und schon steht sie. Die Burg der Träume. Daneben werden Sandkuchen gebacken, dort ein Schwimmbad gegraben.

Ich sitze auf der Tischtennisplatte, zwischen dem Spielhaus und der Sandkiste. Und beobachte. Ich soll nicht zu nah kommen, den Kindern ihren Freiraum zum Spielen lassen. Damit sie sich ihre Welten erfinden können, in denen die Erwachsenen nicht vorkommen. Doch diese Welten beobachte ich gerne.

Ein Junge setzt sich neben mich. Hier ist sein geheimes Chemielabor, erklärt er mir. Das darf ich keinem sagen, psst. Also sagt es nicht weiter. Er tippt etwas in seinen imaginären Computer. Er hat etwas erfunden hier in seinem Labor. Was es ist verrät er mir nicht. Dann wird das Labor verschlossen, zweimal Schlüssel drehen, er gesellt sich wieder zu den anderen ins Spielhaus.

Währenddessen ertönt lautes Geschrei aus der Sandkiste. “Juliaaaaaaaaa, DER HAT MEINE BURG KAPUTTGEMACHT!!!!”. Da fliegt Sand und Ärger durch die Gegend. Die Burg der Träume ist nur mehr ein belangloser Haufen. Aber nach einer kurzen Runde Tränen beginnt das Spiel von neu, der Kübel wird gefüllt, zack, wir haben eine Burg. Die wird jetzt gut beschützt.

Lärm aus dem Spielhaus. “Ist alles ok bei euch da oben?”, frage ich sicherheitshalber nach. Der obere Stock ist von außen nicht einsehbar. Ein dunkler Schopf mit Zöpfen taucht kurz über dem Geländer auf. “Ach Julia, klar, ich habe nur zwei Babys hier”. Ja, Babys machen eben Lärm. Aber jetzt, wo ich schon da stehe, muss ich im unteren Stock etwas zu essen bestellen. Es gibt Empanadas, Papi Pollo, Mais, Eier.. alles was es in Mindo auch zu kaufen gibt. Ich bekomme ein Papi Pollo und Soßen. Ob ich mit Karte oder in bar zahlen will? Die kleine Verkäuferin kennt sich aus. Mit Karte, wenns geht. Ich halte mein Handy auf den kleinen Bildschirm, tippe einen Code ein. Mein kleiner Freund will auch ein Papi Pollo. Aber er hat kein Geld. Ich lade ihn ein und zahle diesmal mit bar, das Bargeld ist mein Schlüssel. Hups, den könnt ihr aber nicht in der Kasse verstauen, den brauche ich noch.

Dann ziehe ich mich wieder zurück aus der Spielewelt, drehe eine Runde, setze mich wieder auf die Tischtennisplatte, wo mir die Katze Gesellschaft leistet. Gerade ist es ruhig. Das Babygeschrei ist verhallt, alle Papi Pollos verkauft. Ich weiß nicht, was sie im oberen Stock gerade aushecken. Aber wenns Blödsinn ist, werde ich es schon merken.

Die Phantasiewelten sind Schutz, Geborgenheit, manchmal auch Lärm, Ärger, aber alles in dieser Welt. “Kein Stress, Julia, wir schlagen uns nicht wirklich, wir spielen nur,” bekomme ich dann zu hören. In der Sandkiste fährt derweil der Bagger auf. Der, dessen Rad ich jeden Tag wieder reparieren muss. Aber er lässt die Burg der Träume in Ruhe, für jetzt. Stattdessen wird das Schwimmbecken vergrößert.

Meine Gedanken schweifen ab. Die Phantasiewelten, bestehend aus Sandburgen und geheimen Erfindungslaboren. Voller Erfolge und Träume. Die Krokodilstränen, wenn die Burg dem Erdboden gleich gemacht wird.

An manche meiner eigenen Phantasiewelten kann ich mich noch gut erinnern. Als mein Bruder und ich in der Ecke des Gartens einen Tunnel nach Australien graben wollten. Fertig ist er nie geworden, aber das Loch war ewig da. Dann haben wir auf der Gartenmauer gekocht und unsere Eltern mussten von Sandknödel über Gemüsestrudl bis zu Blättersuppe alles “probieren”. Und irgendwann haben wir mit Kreide die Hauswand bemalt. Das ist immer noch da, der Regen hat es nicht abgewaschen. Mein Bruder und ich sind mittlerweile über 20, aber die Kindheitsbilder und Beschimpfungen, die wir damals an die Hauswand gekritzelt haben, sind immer noch nachzulesen. Zumindest waren sie das, als ich die Wand das letzte Mal gesehen habe, das ist ja auch schon eine Zeit her.

Ich blicke auf die Uhr. Die Zeit ist verflogen. Zehn vor zwei, wir müssen aufräumen. Das produziert immer das größte Gebrüll. Nein, Julia, nein. Noch fünf Minuten. Bittebitte. Aber ich baue gerade einen Berg. Hallo da oben im Spielehaus, räumt ihr auf bitte? Ein bisschen Lärm und Geschrei, irgendwann wird mir die Kiste mit den Spielsachen über die Brüstung gereicht. Unten hat sich schon ein Mädchen den Besen geschnappt. Ist es oben sauber, oder muss ich nachschauen?

Die Sandberge werden währenddessen immer noch größer. Aufhören? Aber wir spielen doch gerade so schön. Jeden Tag ist es wieder ein Kampf, wenn ich den Ausflug in die Traumwelten für beendet erkläre. Ich verstehe das ja. Aber am nächsten Tag nach dem Mittagessen sie ja wieder. Dann werden statt Burgen vielleicht Tunnel gebaut und statt Papi Pollo kann ich Kartoffeln kaufen. Eine neue Phantasiewelt. Und am Tag darauf wieder. Manche davon werden sie sich vielleicht auch ins Erwachsenenalter merken. Ich lerne viel von den Kindern. Viel über sie, viel über mich. Viel über Phantasie. Und vielleicht sollten wir Erwachsene, dann wenn uns das Leben und das Erwachsenendasein wieder einmal über den Kopf wächst, auch einfach eine Sandburg bauen. Eine Burg der Träume.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert