Um mich herum ein sattes grün, Palmen und Laubbäume bewachsen die Berge. Über mir ein strahlendes Blau, der Himmel von weißen Zuckerwattewolken durchzogen. Die Sonne steht tief und taucht das Ganze in so kitschiges Licht, dass es fast unwirklich wirkt. Als hätte jemand die Farbsättigung der Landschaft draufgedreht. Als wäre das alles ein glänzendes Ölfarbenbild. Oder eine Szene aus Avatar.

Hier, zwischen dem Amazonasgebiet und der Sierra, kann man stundenlang dahinfahren, ohne auf ein Dorf zu treffen. Und ohne zu wissen, wo genau man ist, denn Handyempfang ist eine Seltenheit. Dafür spielt sich vor dem Fenster der schönste Naturfilm ab, den man sich wünschen kann. Er fesselt mich stundenlang. Ich bin müde und sollte schlafen. Aber ein bisschen muss ich noch zuschauen, dem Film vor dem Fenster, der Universum Konkurrenz machen könnte.

Die Sonne scheint die gegenüberliegende Bergfront an. Hoch und grün ragt sie auf. Mitten aus dem Wald entspringt ein Wasserfall. Sicher ein paar hundert Meter hoch. Ich sehe nicht, wo er herkommt und wo er hinstürzt. Nur die weißen Wassermassen, die in einem Strahl aus dem Wald geschossen werden und im Nichts verschwinden. Wenn ich jetzt in Avatar wäre, würde ich hinfliegen. Aber so bewahrt der Wasserfall sein Geheimnis wo er herkommt und erinnert mich nur einen Moment an die Schönheit und Kraft der Natur.

Mein Ohr knackst, wir überwinden ordentlich Höhenmeter. Von Handyempfang immer noch keine Spur. Es wird finster im Bus, links und rechts ragen Berghänge auf. Neben der Straße stürzen auch Wassermassen zu Boden. Sie machen das grün ganz nass und sammeln sich in einem kleinen Bach. Die Straße bleibt für heute halbwegs trocken. Aber die Natur hat Kraft. Sie könnte ohne weiteres die Ganze Straße unter Wasser und Schlamm setzen und dafür sorgen, dass kein einziger Bus mehr durchkommt. Aber heute nicht. Bergauf, dann eine Kurve. Die Sonne senkt sich gerade über den Bergen und strahlt noch mit der letzten Kraft des Tages. Die Handykamera weigert sich, dass Naturschauspiel einzufangen.

Durch die beschlagene Scheibe hebt sich eine Palmengruppe vom Himmel ab. Der Bus kämpft sich vorsichtig den Berg hinunter. Die Landschaft ist so schön, wie die Straßen schlecht sind. Sie sind zwar asphaltiert, aber jede Woche gibt es irgendwo einen Erdrutsch. Die Busfahrer winken sich freundlich zu, während der eine von der Brücke kommt, der andere ihn in einer steilen Kurve vorbeilässt.

Der blaue Himmel färbt sich langsam orange. Die Zuckerwattewolke hängt vor dem sattgrünen Wald. Eine Idylle, die nicht mehr lange in Fabre erstrahlen wird.

Ich nehme den letzten Schluck Kokossaft. Der süße Nachgeschmack zaubert immer wieder das Bild der Amazonía in meinen Kopf: Ein breiter Fluss, dahinter grüner Dschungel soweit das Auge reicht, der glanzblaue Himmel gespickt von Wolken, die eine Kinderhand auf den Himmel gemalt haben könnte. Wann ich wieder zurückkommen werde?

Die Sonne hat sich über die Berge gesenkt. Die Fensterscheibe des Busses ist beschlagen. Das grün und blau hat sich in ein schwarz und weiß verwandelt, als hätte jemand die satten Farben einfach ausgeschalten, einen Schwarz-Weißfilter über das Bild gelegt. Die Dämmerung setzt ein um 18.30, danach kann man fast im ganzen Land die Uhr stellen. Das ganze Jahr. Morgen wird die Sonne wieder aufgehen und das Grün satt erscheinen lassen und den Himmel blau. Dann werde ich nicht mehr da sein, denn der Bus fährt unermüdlich weiter, die Berge auf und ab, bis am Horizont irgendwann die Lichter an Quito auftauchen.

Viel später sitze ich auf Edwins Motorrad und wir rollen nach Mindo hinunter. Es ist mitten in der Nacht, aber die Reise ist fast geschafft. Über uns funkeln ein paar Sterne. Eine Seltenheit in Mindo. Der Fahrtwind bläst durch die Haare, es ist ruhig. Edwin lässt das Motorrad rollen. Schwarz-Weiß-Grau über mir am Himmel. Die strahlenden Sterne auf dem dunklen Nachhimmel, ein paar Wolken, die nur darauf warten, sie wieder zu verdecken. Neben nur immer noch die Waldlandschaft, in grau-schwarz. Die Straßenlaternen tauchen sie kurzfristig ins Licht und erinnern mich daran, dass eigentlich grün die Farbe des Waldes ist. Ein dunkles Grün für jetzt. Und morgen wird der Schwarz-Weißfilter der Nacht wieder verschwinden, die Sättigung sich hochdrehen und der Wald in einem grün erstrahlen, dass es eigentlich gar nicht geben kann. Aber bis dahin genieße ich den Fahrtwind und die Sterne.

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