Im Namen der Frauenrechte

Ich begleite meine Kollegin Geraldina Guerra nach Coca in ein Frauenhaus. Sie ist eine der namhaftesten Frauenrechtsaktivistinnen des Landes und hält dort einen Workshop über Gewalt. Und ich hab Jonas bearbeitet, dass ich mitkommen kann und mal zuschauen, was Geraldina eigentlich den ganzen Tag so macht.
Vorweg: ich habe noch mehr gearbeitet als in Salem. Ich habe so viel gelernt wie in den letzten drei Monaten nicht. Ich habe noch eine Stadt im Amazonasgebiet kennengelernt und mich noch mehr in diese Region verliebt. Und ich habe ein paar Tage Unterkunft bei einer Gastfamilie sehr genossen.

Wieder auf die Reise

Es geht seit langem mal wieder raus aus Mindo. Der Paro hat mich länger als ich wollte daran gehindert. Zusammen mit Kollegin Geral fahre ich nach Coca in ein Frauenhaus. Zugegebenermaßen bin ich nervös. Das letzte Mal Reisen hat ja mit dem Überfall geendet und das hat sich eingebrannt.. Also renne ich den ganzen Vormittag schon nervös herum und überlege, wie ich mein Geld an fünf verschiedenen Orten verstecke.

Außerdem hat Pao Geburtstag und wir bringen ihr Brownies und das SALEM- Team hat beschlossen, ein gemeinsames Frühstück abzuhalten. Alle. Das ist supernett, wir beschließen das Ganze einmal im Monat zu wiederholen. Blöd nur, dass uns nur mehr etwas mehr als ein Monat bleibt. Um 11 gehts dann zur Bushaltestelle. Die Bushaltestelle, wo sich Wege treffen oder trennen. Wo man wartet, gespannt vor einem neuen Abenteuer, wos los geht. Ob der Bus auch wirklich fährt? So ganz sicher sein kann man sich nie. Diesmal hab ich Glück.

Und sobald sich der Bus den Weg hinauf zum Y de Mindo bahnt, ist das Reisegefühl aber schon wieder da. Die unbändige Freude auf neue Dinge, Eindrücke. Rauszukommen. Quito begrüßt mich mit Sonnenschein. Mit dem Taxifahrer philosophiere ich über den Paro. Schließlich lande ich bei Geraldina im Büro von ALDEA , der lateinamerikanischen Vereinigung für alternative Entwicklung. Geraldina ist die Präsidentin und Sprecherin derer und setzt sich besonders für Frauenrechte an.

Gemeinsam gehts Richtung Coca, den Großteil der Strecke kenne ich schon von den Reisen nach Cuyabeno und Tena. Abends kommen wir bei Marinez an, der Direktorin des Frauenhauses. Unterkommen werden wir bei ihr und ihrer Familie, bestehend aus Ehemann Humberto, Nichte Anita und nicht weniger als sechs Hunden, die kuschelbedürftig durch die Gegend springen. Beim Abendessen bekomme ich schon einen ersten Einblick ins Thema Frauenrechtsarbeit. Es wird über Gewaltfälle, (nicht vorhandene) Förderungen und Neuerungen im Frauenhaus diskutiert und ich höre gespannt zu. In Wahrheit steht das Frauenhaus bald vor dem finanziellen Aus. Geraldina will ins Radio und Fernsehen, und Druck auf die Politik machen, um das zu verhindern. Aber heute nicht mehr, es ist schon spät.

Reden über Gewalt

Im Frauenhaus, bei der Polizei, bei verschiedene Anlaufstellen in der Verwaltung… rein theoretisch ist das Hilfnetzwerk sehr groß. Nur fehlt an allen Ecken und Enden Geld, oft auch Wissen und Erfahrung. Deswegen dient der Workshop nicht nur zum Lernen, sondern auch zum gegenseitigen Austausch über die Arbeit und Erfahrungen. Auch die Kenntnis über mögliche Angebote ist wichtig. In Ecuador gibt es insgesamt 11 Frauenhäuser (das ist WENIG), die bei Bedarf auch zusammenarbeiten – zusammen eine Frau ans andere Ende des Landes oder außer Landes bringen, wenn sie in Gefahr ist.

Warum bleibt eine Frau in einer Gewaltbeziehung? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Und umso schwieriger, die Frage warum sie nicht „einfach“ geht. Eine emotionale Bindung ist da, meist sind Kinder im Spiel, fragliche Unterstützung der Familie, die Angst, alles zu verlieren, wenn sie geht. Und die Gefahr, dass der Aggressor noch mehr Gewalt gegen sie oder die Kinder ausüben will. Das ist umschreibt in kurzen Worten eine Problemsituation, die wir stundenlang erörtert haben.

Das Private ist in diesem Fall politisch: Gewalt an Frauen ist ein gesellschaftliches Problem und geht uns alle was an. Nicht nur hier in Ecuador, sondern auch in Österreich, wo wir dieses Jahr schon sage und schreibe 18 Femizide zählen.

Zwischendurch werden immer wieder anonymisiert Fälle besprochen, bei denen einem schon ein bisschen die Luft wegbleibt. Zehn- oder zwölfjährige Mädchen, schwanger vom Vater oder vom Onkel. Ein Großteil der Gewalt passiert im engsten Familienkreis. Viele Opfer schweigen sehr lang, aus Angst oder weil sie keine Unterstützung bekommen. Eine Frau erzählt, dass ihre eigenen Eltern bis heute nicht mit ihr sprechen, weil sie ihren Gewaltfall öffentlich gemacht hat. Die Familie ist politisch einflussreich und hat Angst ihren Ruf zu verlieren. Geglaubt wurde der Frau auch in der eigenen Familie nicht. Häusliche Gewalt, so lernen wir, kann aber alle Bevölkerungsschichten durchziehen. Dazu möchte ich euch auch diesen Tedtalk (auf englisch) ans Herz legen. Die Runde erinnert sich an den Fall eines angesehenen Arztes, der sich sogar für Frauenrechte einsetzte. Bis herauskam, dass er selbst Gewalt gegen seine Ehefrau ausübte – ein riesiger Skandal. Es gibt also keine typischen Profile – weder für Gewaltopfer noch für Aggressoren.

Die Stufen der Gewalt reichen von psychologisch über körperlich/sexuell, bis zur schlimmsten Handlung: Mord, oder in diesem Fall Femizid genannt. Geraldina selbst führt die Statistik über Femizide in Ecuador und stellt uns ein paar beunruhigende Daten vor. Alle 31 Stunden wird eine Frau von einem Ex-Partner oder sonstigen Familienmitgliedern umgebracht. Rund 65% der Frauen in Ecuador waren in einem Moment in ihrem Leben Opfer von Gewalt.

Die Verfolgung von Gewaltfällen gestaltet sich – obwohl es dafür Gesetze gibt, als sehr schwierig. Es wird die Geschichte einer Frauenrechtsaktivistin erörtert, deren eigene Tochter von einem nahestehenden Aggressor umgebracht wurde. Sie hatte natürlich die besten Connections und innerhalb von Kürze die besten Anwältinnen des Landes hinter sich. Trotzdem ist die gerichtliche Verfolgung der Täter sehr schwierig und bis heute kein Ergebnis in Sicht.

Nach und zwischen dieser harten Kost tanzen wir. Viel und alle. Das ist notwendig. Beim Mittagessen und zwischendurch wird ein bisschen abgelenkt und geblödelt, so wichtig das Thema ist, ist es auch obere Priorität auf sich selbst zu achten. Und Geraldina hat ein gutes Gefühl, wie viel man der Gruppe wann zumuten kann. Und so diskutieren und lernen und tanzen wir viel.

Am Abend fahren wir tatsächlich zum Fernsehen, wo Geral ein Interview gibt und die Stadtverwaltung wiederholt dazu auffordert, Fördermittel für das Haus Paula lockerzumachen. Naja, wenn die oberste Frauenrechtlerin Ecuadors sagt sie will ins Fernsehen, kommt sie dort auch hin. Und ich verfolge das alles neugierig.

Familienleben

Neben dem wirklich interessanten Einblick in den Workshop und die Arbeit im Frauenhaus habe ich die Tage auch aus einem andren Grund sehr genossen: Die Unterkunft bei der Familie von Marinez. Das gemeinsame Essen und viele politische Diskussionen. Beisammensitzen auf der Couch. Fortgehen und Coca kennelernen mit Anita, die mich ganz selbstverständlich mitnimmt und mir alles zeigt. Vom Einkaufszentrum angefangen bis zur Schiffbar und ihren Freund_innen. Die wiederholte Nachfrage, wie es mir geht, wenn ich “heimkomme”. Die willkommene Atmosphäre des Hauses und lauter liebe Leute. Die Hunde, die jedes Mal um mich herumspringen, wenn ich das Grundstück betrete. Besonders die kleine Lala, die das Sofa gar nicht mehr verlassen und mit mir kuscheln will. Ich bin sehr dankbar, dass sie mich so lieb aufgenommen haben und habe das bisschen Familienleben sehr genossen.

Als ich beschließe, noch einen Tag länger zu bleiben und das halbe Wochenende in Coca dranzuhängen, nehmen sie mich gerne weiter auf. Mit Anita und Paula esse ich Palmenkäferlavern und trinke Guayusa. Zum Mittagessen gibt’s Shrimps, die Paula von der Küste mitgenommen hat. Als mich Huberto zum Busterminal bringt, fällt der Abschied herzlich aus. Ich hoffe, ich kann wiederkommen.

Die Liebe zur Amazonía

Viel Zeit ist nicht geblieben, um Coca zu erkunden. Und doch hat die Stadt einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Die wunderschöne, sonnige Flusspromenade mit kleinen Holzhütten, wo Schmuck verkauft wird. Die Straßenstände mit Kokos- und Orangensaft. Das Macco-Museum. Darin wird sehr eindrucksvoll die Geschichte der Region dargestellt, von der Besiedelung bis zu spanischen Kolonisierung.

Der Reiseführer schreibt, das Coca mit dem Erdölboom der letzten 20 Jahre gewachsen ist. Das merkt man am Stadtbild. Es ist modern, der Bereich um das Macco erinnert mich ans Wiener Museumsquartier und weckt Heimatgefühle. Im zweiten Möchtegern- Museumsquartierblock verbirgt sich ein Einkaufszentrum und ein Kino. Kino!!! Ich hatte schon fast vergessen, dass es das gibt und bin hin und weg. Vom vierten Stock des Einkaufszentrums hat man auch den besten Ausblick auf den Sonnenuntergang, der – typisch Amazonía – einfach nur beeindruckend ist. Der Fluss, Dschungel soweit das Auge reicht und die sinkende Sonne, die das Alles in orangenes Licht taucht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert