Die kleine Katze ist endlich sterilisiert und wir haben wieder einmal ein paar Leute zu verabschieden. Blake geht zurück in die Staaten und auch ein paar Kinder verlassen SALEM, weil ihre Familien in andere Länder ziehen. Und ich habe gerade wieder meine journalistische Passion entdeckt, der ich mich mit vollem Eifer widme – und die mir allen Schlaf raubt, denn mir nicht schon die Katze raubt.
Als ich mitten in der Nacht aus Coca zurück komme, finde ich in meinem Zimmer eine ziemlich grantige, frisch sterilisierte Katze vor. Die haben Donna und Felix wie ausgemacht dort eingesperrt. Sie haben sich auch um den Tierarztbesuch gekümmert, weil der natürlich just wieder das Wochenende gewählt hat, wo ich nicht da bin. Wie immer. Aber diesmal war er wirklich da. Und die Katze hat halb-narkotisiert und ziemlich grantig den ganzen Tag Donna und Felix auf Trab gehalten. Und jetzt mich die ganze Nacht. Aber dafür muss ich mir jetzt keine Sorgen mehr machen, wenn es sie zu ihren Katerfreunden zieht. Davon hat sie nämlich schon so einige.
Der Rest des Wochenendes verläuft gechillt, ich lade mich bei Jonas zum Kaffee ein, denn er hat mir ein Packerl von zuhause mitgebracht. Dann sitzen Talis und ich bis um 10 an der Web-Mingo-Website. Die anderen sind längst heimgegangen oder gar nicht gekommen, aber wir haben unseren Spaß mit dem Footer und damit, blöde Teambeschreibungen hochzuladen. Ergebnis siehe unten.
Abgesehen davon verbringe ich auch gerade viel Zeit am Laptop, weil ich das Thema “Gewalt an Frauen” journalistisch verarbeite. Es ist also noch eine Radiosendung in Arbeit und weil das Frauenhaus dringend Spenden braucht, bin ich gerade an der Planung einer Spendenkampagne. Oder besser gesagt am Rausfinden, wie man das am Besten macht.
In der Arbeit nimmt der Musikworkshop langsam Form an. Wir proben schon gemeinsam mit den Breakdancern und ich finde es wird gut. Ansonsten ist das Mittagessen geprägt von Verkehrspolizistin in der Küche spielen, aber das funktioniert schon besser. Dazwischen wird bei der Tür raus mit Nazli und Blake geblödelt, die um die Ecke stehen und dafür verantwortlich sind, dass sich die Kinder die Zähne putzen. Mit Blake ists dann auch schon bald ausgeblödelt, er fliegt am Wochenende zurück in die USA. Wo ist Blake? – Desapareció. Er ist verschwunden. Das ist mittlerweile zum geflügelten Wort geworden. Jetzt verschwindet er endgültig.
Wir verabschieden ihn in lustiger Runde im Quetzal und es fließt Ginger Beer. Dann gehts weiter in eine Bar, endlich mal wieder tanzen. Aber dass nicht alle Chuchaki in die Arbeit kommen, sagt Jonas. Das ist der Ausdruck für Kater hier. Keine Sorge, wir schaffen das.
Besonders daran beteiligt, dass ich rechtzeitig in die Arbeit komme, ist neuerdings die kleine Katze. Sie fängt mir meinem Wecker oder auch mal davor an zu schreien und an der Tür zu kratzen. Wenn ich mich dann endlich zur Tür bewegt hab um sie rauszulassen, will sie auf einmal nicht mehr raus, sondern ins Bett kuscheln. ok, aber zumindest brennt jetzt das Licht und ich schlafe nicht mehr ein. Ein ähnliches Spielchen spielen wir am Abend. Ein Auszug:
Ich: arbeite am laptop.
Katze: schnurr schlaf.
Ich: ok geh ma schlafen.
Katze: hallo! Ich bin hier und will spielen und kuscheln und spielen schnurr. Außerdem hab ich Hunger. Und Durst. Und muss aufs Klo. Und nein das ist mein Polster, den kriegst du sicher nicht. Nagut vielleicht leg ich mich zu dir. Aber nur 2 Minuten. Schnurr. Nein warte das Fußende ist viel bequemer. Oder hab ich vielleicht doch noch Hunger? Und ich muss jetzt ganz dringend das Regal inspizieren. Wie komm ich jetzt wieder aufs Bett? Miau schnurrr, ach schlafen wolltest du?
Jedenfalls ist die Katze die einzige weit und breit, die es sich traut mich aufzuwecken oder wach zu halten. Felix meint ja, vor dem ersten Kaffee hat er Angst vor mir. Die Katze nicht. Obwohl sie vielleicht sollte?
Am Donnerstag marschiere ich zu Geraldina, um sie zu Gewalt an Frauen interviewen. Wir sitzen im Garten, es wird finster, wir reden und reden. Die Grillen, die sich laut auf die Aufnahme geschummelt haben, nehme ich garnicht wahr. Das Thema ist intensiv und interessant. Ich glaube, der Beitrag wird gut. Wenn ich das Grillen-Ton-Problem in den Griff krieg. Dann bringen mir Geraldinas Kinder noch ein Kartenspiel bei, dass ich bis zum Schluss nicht verstehe und ihr Cousin bringt mich mit dem Auto heim. Dort bleibe ich aber nicht lang, denn es fehlt Brot. Also noch eine Runde ins Dorf.
Ich treffe Silvana und einige Kinder auf der Hauptstraße. Die Kleine kommt in Tränen aufgelöst auf mich zugelaufen. Ihre Familie macht sich morgen in die Staaten auf. Irgendwie versuchend über die Grenze zu kommen. In ein hoffentlich besseres Leben. Und vorher durch halb Lateinamerika, durch den Dschungel, keine Ahnung wo hin. Das Mädchen hat Angst. Sie ist eine unserer Jüngsten, vielleicht 7 Jahre alt. Ich versuche sie zu beruhigen, erzähle ihr, dass alles gut wird. Dass sie dort viele nette Leute kennenlernen wird. Dass wir sie immer im Herzen haben werden und sie uns. Da stehen wir, mitten auf der Kreuzung der Hauptstraße in einer Umarmung. Ihr großer Bruder wird auf sie aufpassen, der nimmt das Ganze mit Fassung. Oder versucht es zumindest.
Als die Kinder außer Reichweite sind, haben Silvana und ich auch Tränen in den Augen. Natürlich wünschen wir der Kleinen, dass alles toll wird, so wie wir es ihr gerade gesagt haben. Das sie es schaffen. Und dass sie uns in ein paar Monaten eine Postkarte aus den USA schickt. Aber als Erwachsene wissen wir, dass die Reise beschwerlich ist und gefährlich. Dass sie irgendwelchen Schleppern ihr Leben anvertrauen wird. Und dass in Wahrheit niemand weiß, wie die ganze Sachen enden wird. Wir werden eine Kerze anzünden. Und mir wird wieder einmal die unglaubliche Ungerechtigkeit dieser Welt vor Augen geführt. Blake geht auch in die USA. Er wird am Montag dort ankommen, mit seinem Pass durch das Flughafengate marschieren und seine Familie begrüßen. Weil er dort geboren ist. Das kleine Mädchen, dass ich gerade noch umarmt habe wird die nächsten Monate auf Reisen verbringen, irgendwo versuchen weiterzukommen, auf illegale Weise, nicht wissend wo sie schläft und isst, oder wo sie überhaupt hinkommen wird. Weil sie hier geboren ist.
Noch in Gedanken besuche ich Edwin in der Apotheke. Dort kreuzt nach Kurzem auch Talis auf und erinnert sich daran, dass er nicht genau 3 Bier daheim hat. Ein Wink des Schicksals. Wir Enden also in Talis’ Haus. Eigentlich wollte ich ja nur Brot kaufen gehen. was man dabei so alles erlebt in Mindo.