Eine Gegenüberstellung und Erinnerung.

Vor mir steht ein großer Teller mit dampfender Hühnersuppe. In Ecuador ist es üblich, in kleinen Lokalen einfach „un Almuerzo“- ein Mittagessen, zu bestellen. Zwischen 2,5 und 3,5 Dollar kostet das Ganze. In Wien findet man so etwas nie, schon gar nicht für den Preis.

„In Österreich sind die Gehälter aber auch höher“, sagt Edwin. Er ist mein bester Freund der ersten Stunde hier, hat uns eingeführt in die ecuadorianische Kultur und Sprachgewohnheiten. Und er hat recht. Bei einer kleinen, nicht repräsentativen Umfrage im Freundeskreis hat sich herausgestellt, dass der Stundenlohn hier in Mindo so zwischen 2 und 2,5 Dollar liegt. Nicht ganz ein Almuerzo.

Viele meiner Freund_innen hier arbeiten in 2 oder mehr Jobs, sechs Tage die Woche, mehr als 40 Stunden. Die Wohnung und Essen müssen irgendwie finanziert werden. Edwin hat auch schon einiges hinter sich. Von Tellerwäscher, Kellner, Fleischer, ein eigener Empanadas-Stand, ein Videospiel-Lokal… es gibt eigentlich wenig, an dem er sich noch nicht versucht hat. Er ist eindeutig einer der intelligentesten und fleißigsten Menschen, die ich kenne. Bis vor kurzem hat er mit mir in SALEM gearbeitet, jetzt hat er eine Fixanstellung in der Apotheke gefunden.

Mittlerweile ist die Suppe aufgegessen, zur Hauptspeise gibt’s Reis, Linseneintopf, Salat, ein bisschen Fleisch und Kochbananen. Ich nippe am hausgemachten Saft. Ananas.

„Guten Appetit“. Ein bisschen Deutsch kann Edwin und spricht es gerne. Einer seiner Träume ist es, einmal nach Deutschland oder Österreich zu kommen. Aber sich mit den hiesigen Gehältern einen Flug nach Europa zu leisten, ist eben wesentlich schwieriger als andersherum. Meine Gedanken bewegen sich weg vom Essen, zu Unterschieden. Unterschieden zwischen Ecuador und Österreich, zwischen Europa und Lateinamerika, zwischen Edwin und mir. Die Welt ist ungerecht.

Ich wünsche mir eine Welt, in der es egal ist, wo man geboren wird. Eine Welt, in der junge Menschen aus allen Ländern der Erde dieselben Chancen haben. In der Edwin genau wie ich studieren könnte, oder einen Freiwilligeneinsatz machen. In Deutschland oder Österreich. Ich würde mir wünschen, dass sich diese Ungerechtigkeit zwischen globalem Norden und Süden ausgleicht, dass Norden und Süden irgendwann wieder rein geografische Begriffe werden, die nichts über das mutmaßliche Bruttoinlandsprodukt eines Staates aussagen. Eine Welt, an der und in der wir alle gemeinsam arbeiten und zusammenhalten. Wäre das nicht schön?

Dieser Text ist auch im Jahresbericht der IFE erschienen, meiner Entsendeorganisation aus Österreich. Ich übersetze ihn auf Spanisch und schicke ihn Edwin. Ob ich seinen Namen verwenden darf? Wenige Minuten später kommt die Antwort. Er hat geweint, im positiven Sinn. Weil er genau wie ich weiß, dass es wahr ist. Dass die Ungerechtigkeit da ist. Und nicht hingehört. Ich darf den Namen verwenden. Um die Ungerechtigkeit in die Welt hinauszuposaunen. Um gemeinsam daran zu arbeiten. Und damit werde ich auch nicht aufhören. Machst du mit? Gehen wir Mittagessen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert